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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Zeit lassen. Also geht langsam vor, und stufenweise. Und beachtet vor allem, was euch immer wieder gesagt worden ist: Vermeidet Verstümmelungen und unmittelbare Todesgefahr! Eine der Segnungen, die dem Frevler durch diese Prozedur zuteil werden, ist gerade ein beglückender und erwarteter Tod, der als Erlöser kommt, aber erst nach einem vollen, freiwilligen und reinigenden Geständnis.«
    Die Bogenschützen beugten sich nieder, um den Cellerar aufzuheben, doch dieser sträubte sich heftig, stemmte die Füße auf den Boden und gab zu verstehen, daß er reden wolle. Man gewährte es ihm, und er begann stammelnd, die Worte kamen ihm anfangs nur mühsam über die Lippen, sein Reden klang wie das Lallen eines Betrunkenen und hatte etwas Obszönes, und erst allmählich, während er sprach, fand er zu jener wilden Kraft zurück, die sein Geständnis erfüllt hatte.
    »Nein, Herr Inquisitor. Nicht die Folter! Ich bin ein Feigling. Ich habe damals verraten, ich habe meinen Glauben von einst elf Jahre lang verleugnet in diesem Kloster. Ich habe ihn tätig verleugnet, indem ich armen Winzern und Bauern den Zehnten abpreßte, indem ich die Aufsicht führte über Scheuern und Ställe, damit sie blühten zur Bereicherung des Abtes. Ich habe mein Bestes gegeben bei der Verwaltung dieser Fabrik des Antichrist. Und ich ließ es mir gut ergehen, ich hatte die Zeit der Revolte vergessen, ich genoß die Freuden des Gaumens und andere mehr. Ich bin ein feiger Verräter. Vorhin verriet ich acht ehemalige Mitbrüder in Bologna, damals verriet ich Dolcino. Und als feiger Verräter, verkleidet im Gewände der Bischöflichen, habe ich die Gefangennahme Dolcinos und seiner Margaretha mitangesehen, damals, an jenem Karsamstag, als man sie ins Castell von Bugello verbrachte. Drei Monate lang trieb ich mich in der Gegend von Vercelli herum, bis der Brief von Papst Clemens eintraf, der Dolcinos Urteil enthielt. Und ich habe mitangesehen, wie Margaretha in Stücke gerissen wurde, und ich hörte sie schreien, zerfleischt, wie sie war, armer Leib, den auch ich eines Nachts berührt . . . Und als ihr geschundener Kadaver brannte, kamen sie über Dolcino und rissen ihm mit glühenden Zangen die Nase ab und die Hoden, und es stimmt nicht, was später von ihm behauptet wurde, daß er keinen Laut von sich gegeben hätte. Dolcino war ein großer und starker Mann, er hatte einen gewaltigen Teufelsbart, und die roten Locken fielen ihm auf die Schultern in dichten Ringeln, schön und mächtig war er anzusehen mit seinem breitkrempigen Hut, den ein Federbusch schmückte, mit seinem Schwert am Gürtel um den Talar. Dolcino ließ die Männer erzittern vor Angst und die Weiber aufschreien vor Vergnügen, ja . . . Doch als sie ihn folterten, schrie auch er vor Schmerzen wie ein Weib, wie ein Lamm, er blutete aus allen Wunden, als sie ihn durch die ganze Stadt schleiften und immer noch weiter verstümmelten, nur um vorzuführen, wie lange ein Abgesandter der Hölle weiterzuleben vermag, und er wollte sterben, ja, er flehte sie an, sie sollten ein Ende machen mit ihm, aber er starb spät, zu spät, erst auf dem Scheiterhaufen, und da war er nur noch eine blutige Fleischmasse . . . Ich war ihm gefolgt auf seinem Leidensweg und war froh, dieser grausamen Prüfung entgangen zu sein, und neben mir ging jener Strolch Salvatore, der zu mir sagte: Das haben wir gut gemacht, Fratel Remigio, daß wir so schlau gewesen sind, es 242
    Der Name der Rose – Fünfter Tag
    gibt nichts Schlimmeres als die Folter . . . Tausend Religionen hätte ich abgeschworen an jenem Tage! Und seit Jahren, seit Jahrzehnten sage ich mir beschämt, wie feige ich war, und wie froh ich war, daß ich feige war, und die ganze Zeit habe ich immer gehofft, mir eines Tages beweisen zu können, daß ich doch nicht ganz so ein Feigling bin. Heute endlich, heute hast du, Bernard, mir die Kraft gegeben, es mir zu beweisen!
    Du bist heute für mich gewesen, was einst die heidnischen Kaiser für die feigsten der Märtyrer waren. Du hast mir den Mut gegeben, endlich frei zu bekennen, was ich glaubte in meiner Seele, während mein Leib davor zurückschreckte. Doch verlange jetzt nicht zuviel von mir, verlange nicht größeren Mut, als meine sterbliche Hülle ertragen kann. Nicht die Folter! Ich werde alles sagen, was du willst, lieber sofort auf den Scheiterhaufen, man erstickt, bevor man verbrennt. Aber nicht die Folter wie bei Dolcino! Du willst einen Kadaver haben, und um ihn zu kriegen, mußt du mir die

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