Der Name der Rose
niemand wird es Euch glauben! Und selbst wenn etwas Wahres dran wäre an Eurer phantastischen Rekonstruktion . . . Wohlan, es fällt jetzt alles wieder unter 279
Der Name der Rose – Sechster Tag
meine Kontrolle, in meine Verantwortung. Ich werde es kontrollieren, ich habe die nötigen Mittel und die Autorität! Es war von Anfang an falsch, einen Außenstehenden zu bitten, wie klug und vertrauenswürdig er auch sein mochte, einen Vorfall zu untersuchen, der allein in meine Zuständigkeit fällt . . . Aber Ihr habt es ja nun entdeckt, Ihr habt es mir auch gesagt, ich dachte gleich, daß es um eine Verletzung des Keuschheitsgebotes ging, und ich wollte, unklugerweise, daß mir ein anderer sage, was ich unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses erfahren . . . Wohlan, Ihr habt es mir nun gesagt. Ich bin Euch sehr dankbar für alles, was Ihr getan habt oder zu tun versuchtet. Das Treffen der beiden Legationen ist vorüber, Eure Mission in dieser Abtei ist beendet. Ihr werdet gewiß schon dringlich am Hofe des Kaisers erwartet, auf einen Mann von Euren Qualitäten verzichtet man ungern lange. Ich erteile Euch die Erlaubnis zur Abreise aus der Abtei.
Für heute ist es vielleicht zu spät, ich möchte nicht, daß Ihr nach Sonnenuntergang noch unterwegs seid, die Straßen sind unsicher. Brecht morgen früh zeitig auf. Nein, dankt mir nicht, es war mir ein Vergnügen, Euch als Bruder unter den Brüdern hier zu haben und Euch zu beehren mit unserer Gastlichkeit. Ihr könnt Euch zurückziehen mit Eurem Schüler, um Euer Reisegepäck zu richten. Verabschieden werden wir uns morgen früh bei Sonnenaufgang. Nehmt meinen Dank aus vollem Herzen. Natürlich braucht Ihr Eure Untersuchung nicht länger fortzusetzen. Stört die Mönche nicht weiter. Geht unbesorgt.«
Es war mehr als eine Entlassung, es war ein regelrechter Hinauswurf. William grüßte, und wir gingen.
»Was soll denn das jetzt bedeuten?« fragte ich noch auf der Treppe. Ich verstand überhaupt nichts mehr.
»Versuch doch mal, eine Hypothese aufzustellen. Du müßtest inzwischen gelernt haben, wie man das macht.«
»Wenn ich's gelernt habe, Meister, dann hab ich gelernt, daß ich mindestens zwei Hypothesen aufstellen muß, eine der anderen entgegengesetzt und beide recht unwahrscheinlich. Also gut . . .« Ich schluckte, Hypothesenaufstellen ist eine schwierige Sache. »Erste Hypothese: Der Abt wußte bereits alles und dachte, Ihr hättet nichts herausgefunden. Er hatte Euch mit der Untersuchung beauftragt, nachdem Adelmus umgekommen war, aber allmählich ging ihm dann auf, daß die Geschichte viel komplizierter ist und irgendwie auch ihn selbst betrifft, und nun will er nicht, daß Ihr diesen Zusammenhang aufdeckt . . . Zweite Hypothese: Der Abt hat nie irgendwas geahnt (wovon, weiß ich allerdings nicht, weil ich nicht weiß, woran Ihr jetzt denkt). Er dachte die ganze Zeit, es ginge bloß um einen Streit zwischen . . . sodomitischen Mönchen. Nun habt Ihr ihm die Augen geöffnet, er hat begriffen, daß etwas Schreckliches in der Abtei vorgeht, er denkt auch an einen bestimmten Namen, er hat eine klare Vorstellung von dem Schuldigen. Aber er will jetzt die Sache allein beenden und Euch loswerden, um die Ehre der Abtei zu retten . . .«
»Gute Arbeit, Adson, du fängst allmählich an, richtig zu kombinieren. Aber nun siehst du auch, daß dieser famose Abt in beiden Fällen hauptsächlich um den guten Ruf seines Klosters besorgt ist. Ob Mörder oder nächstes Opfer, in keinem Fall will er, daß man sich draußen im Lande unschöne Dinge erzählt über diese ach so heilige Bruderschaft! Ah, zum . . .«, William geriet allmählich in Wut. »Dieser Bastard eines Feudalherren, dieser gespreizte Pfau, berühmt geworden durch seine Leichenträgerdienste am toten Aquinaten! Dieser verfressene, aufgeblasene Puter, der nur existiert, weil er so ein talergroßes Glitzerding am Ringfinger trägt! Herrenrasse, arrogante, eingebildet und hochnäsig, wie ihr alle seid, ihr Cluniazenser, schlimmer noch als die weltlichen Fürsten, gräflicher als die Grafen . . .«
»Meister!« wagte ich vorwurfsvoll einzuwerfen.
»Schweig, du kommst aus der gleichen Brut! Ihr seid allesamt keine einfachen Leute, auch keine Kinder einfacher Leute! Wenn euch ein armer Teufel begegnet, nehmt ihr ihn schon mal gnädig auf, aber wir haben's ja gestern gesehen, ihr zögert nicht, ihn dem weltlichen Arm auszuliefern, wenn er was angestellt hat. Nie aber einen der euren, mag er auch noch so schlimme
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