Der Name der Rose
gefragt, ob es in diesem Bauwerk voller Geheimgänge nicht noch einen zweiten Zugang zum Finis Africae gibt. Es gibt einen, wie du siehst: Im Ossarium öffnet man kurz vor der Küche eine verborgene Tür in der Wand und gelangt über eine zweite Treppe parallel zu dieser direkt nach oben in den zugemauerten Raum.«
»Und wer steckt jetzt hier drin?«
»Der andere. Der eine sitzt oben im Finis Africae, der andere wollte zu ihm hinauf, aber anscheinend hat der oben einen Mechanismus betätigt, mit dem man beide Türen blockieren kann, und nun sitzt der Besucher in der Falle. Und erstickt bald, denn vermutlich gibt es in dem engen Schlauch nicht viel Luft . . .«
»Aber wer ist es? Retten wir ihn!«
»Wer es ist, werden wir gleich erfahren. Und retten können wir ihn nur von oben, denn hier wissen wir nicht, wie man den Sperrmechanismus löst. Also rasch hinauf!«
In Windeseile waren wir im Skriptorium und kurz darauf im Labyrinth, wo wir rasch zum Südturm vordrangen. Gleichwohl mußte ich mehr als einmal meinen Impetus zügeln, denn der heftige Wind, der in dieser Nacht durch die Mauerschlitze eindrang, staute sich in den verwinkelten Gängen, strich seufzend durch die Räume, bewegte die losen Blätter auf den Tischen, und immer wieder mußte ich schützend die Hand über meine Flamme halten.
Dann standen wir vor dem Spiegel, diesmal wohlvorbereitet auf die entstellenden Abbilder unser selbst, mit denen er uns empfing. Wir hoben die Lampen und leuchteten auf die Inschrift über dem Rahmen: SUPER
THRONOS VIGINTI QUATUOR . . . In der Tat, jetzt war das Rätsel gelöst: Das Wort QUATOUR hat sieben Buchstaben, wir mußten also das Q und das R bewegen. Ich brannte darauf, es unverzüglich zu tun, und stellte die Lampe auf den Tisch in der Mitte des Raumes, aber so unachtsam, daß die Flamme den Einband eines dort liegenden Buches umzüngelte.
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Der Name der Rose – Sechster Tag
»Paß auf, du Tölpel!« schrie William und löschte die Flamme. »Willst du die Bibliothek in Brand stecken?«
Ich entschuldigte mich und machte Anstalten, meine Lampe wieder anzuzünden, doch er unterbrach mich: »Laß nur, meine genügt. Nimm sie und leuchte mir, für dich ist die Inschrift zu hoch. Rasch!«
»Und wenn da drin ein Bewaffneter sitzt?« fragte ich, während sich William auf die Zehenspitzen erhob, um nach den schicksalsträchtigen Lettern der apokalyptischen Worte zu tasten.
»Halt das Licht höher, zum Teufel! Und hab keine Angst, Gott ist mit uns!« antwortete William recht inkohärent. Seine Finger berührten das Q von QUATUOR, und ich, der ich einige Schritte hinter ihm stand, konnte besser sehen, was er tat. Die Lettern waren, wie ich bereits erwähnt habe, ziemlich tief in die Mauer eingeschnitten, und die des Wortes QUATUOR hatten vermutlich einen Metallrahmen, der sich mit einem sinnreichen Mechanismus in der Mauer verband, denn als nun das Q eingedrückt wurde, erklang ein metallisches Klicken, und dasselbe geschah, als Williams Finger das R berührten. Der ganze Rahmen des Spiegels erbebte, die gläserne Fläche sprang ein Stück vor. Der Spiegel war eine Tür, die sich links um eine Angel drehte. William schob die Hand in den Spalt, der sich rechts zwischen Rahmen und Mauer aufgetan hatte, und zog. Knirschend öffnete sich die Tür uns entgegen. William glitt durch die Öffnung und ich hinterher, die Lampe hoch über den Kopf erhoben.
Zwei Stunden nach Komplet, am Ende des sechsten Tages, im Herzen der Nacht, die den siebenten Tag gebar, betraten wir endlich das Finis Africae.
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Siebenter Tag
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Der Name der Rose – Siebenter Tag
SIEBENTER TAG
NACHT
Worin der wundersamen Enthüllungen so viele sind, daß diese Überschrift, um sie zusammenzufassen, so lang sein müßte wie das ganze Kapitel, was den Gebräuchen kraß widerspräche.
Wir traten in einen Raum, der in Form und Größe den anderen drei Turmzimmern glich, aber stark nach abgestandener Luft und angeschimmelten Büchern roch. Meine erhobene Lampe erhellte zuerst das Deckengewölbe, dann erschienen, im gleichen Maße, wie ich den Arm nach rechts und links schwenkend langsam senkte, im flackernden Schein ringsum an den Wänden die Umrisse hoher Bücherregale.
Schließlich gewahrten wir in der Mitte des Raumes einen Tisch voller Bücher und Pergamente, hinter dem jemand saß, der uns reglos im Dunkeln zu erwarten schien, sofern er überhaupt lebte. Noch ehe das Licht auf sein Antlitz fiel, sprach William ihn an.
»Guten Abend,
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