Der Name der Rose
Abschrift du hütest.«
»Was für ein großartiger Bibliothekar du geworden wärst, William von Baskerville!« sagte Jorge bewundernd und zugleich neidisch. »So weißt du nun wirklich alles! Komm, ich glaube, es steht ein Hocker auf deiner Seite des Tisches. Setz dich und lies. Hier ist dein Preis.«
William setzte sich und stellte die Lampe, die ich ihm gegeben hatte, auf den Tisch. Sie beleuchtete Jorges Gesicht von unten. Der Alte nahm einen Folianten, der vor ihm gelegen hatte, und reichte ihn meinem Meister. Ich erkannte den Einband, es war das Buch, das ich im Hospital geöffnet und für ein arabisches Werk gehalten hatte.
»Lies nur, blättere, William von Baskerville!« sagte Jorge. »Du hast gewonnen.«
William sah auf das Buch, ohne es anzurühren. Er zog ein Paar Handschuhe aus der Kutte, aber nicht seine eigenen mit den abgeschnittenen Fingerspitzen, sondern die weichen Lederhandschuhe, die Severin angehabt hatte, als wir ihn fanden. Vorsichtig schlug er den abgegriffenen, brüchigen Deckel auf. Ich trat näher und schaute ihm über die Schulter. Jorge mit seinem scharfen Gehör vernahm das Geräusch meiner Schritte und sagte: »Bist du auch da, Knabe? Ich werd' es dir ebenfalls zeigen . . . nachher.«
William überflog rasch die ersten Zeilen. »Nach den Angaben im Katalog ist das ein arabischer Text über die Worte gewisser Narren. Wovon handelt er?«
»Oh, von albernen Lügen der Ungläubigen, bei denen behauptet wird, die Narren hätten scharfsinnige Worte, mit denen sie selbst ihre Priester verblüffen und die Kalifen begeistern könnten . . .»
»Das zweite ist ein syrisches Manuskript, aber dem Katalog zufolge die Übersetzung eines ägyptischen Buches über Alchimie. Wie kommt es in diesen Band?«
»Es ist ein ägyptisches Werk aus dem dritten Jahrhundert unserer Ära, passend zum folgenden, aber nicht so gefährlich. Niemand würde den Faseleien eines afrikanischen Alchimisten Gehör schenken. Er schreibt die Schöpfung dem Gelächter Gottes zu . . .« Der Alte hob den Kopf und rezitierte aus seinem wunderbaren Gedächtnis eines Lesers, der sich seit nunmehr vierzig Jahren innerlich wiederholt, was er einst gelesen, bevor ihm das Augenlicht schwand: »Als Gott lachte, entstanden sieben Götter, welche fortan die Welt regierten, als er in Gelächter ausbrach, erschien das Licht, beim zweiten Gelächter erschien das Wasser, und als er lachte den siebenten Tag, erschien die Seele . . . Narrenpossen, genau wie die folgende Schrift, das Werk eines jener zahllosen Laffen, die sich damit ergötzen, die Coena zu kommentieren . . . Aber nicht das ist es, was dich an diesem Buch interessiert.«
In der Tat hatte William die Seiten nur eilig durchgeblättert, um zu dem griechischen Text zu gelangen.
Sofort sah ich, als er ihn aufschlug, daß die Blätter von anderer Art waren als bisher: Das Material schien mürber, die erste Seite war nahezu abgerissen, an den Rändern zernagt und übersät mit schimmeligen Flecken, wie sie sich durch Alter und Feuchtigkeit auch auf anderen Büchern zuweilen bilden. William las die ersten Zeilen auf griechisch, dann übersetzte er das weitere ins Lateinische und fuhr in dieser Sprache fort, damit auch ich erfahren konnte, wie jenes schicksalsschwangere Buch begann:
Im ersten Buch haben wir die Tragödie behandelt und dargelegt, wie sie durch Erweckung von Mitleid und Furcht eine Reinigung von ebendiesen Gefühlen bewirkt. Hier wollen wir nun, wie versprochen, die Komödie behandeln (nebst der Satire und dem Mimus) und darlegen, wie sie durch Erweckung von Vergnügen am Lächerlichen zu einer Reinigung von ebendieser Leidenschaft führt. Inwiefern diese Leidenschaft der Beachtung wert ist, haben wir schon im Buch über die Seele gezeigt, insofern nämlich der Mensch als einziges aller Lebewesen zum Lachen fähig ist. Wir werden im folgenden also bestimmen, von welcher Art Handlung die Komödie eine Nachahmung ist. Dann werden wir untersuchen, wie und wodurch die Komödie zum Lachen reizt, nämlich durch die dargestellte Geschichte und durch die Redeweise. Wir werden zeigen, wie das Lächerliche der Geschichte entsteht aus der Angleichung des Besseren an das Schlechtere und umgekehrt, aus der Überraschung durch Täuschung, aus dem
Unmöglichen und aus der Verletzung der Naturgesetze, aus dem Belanglosen und aus dem
Widersinnigen, aus der Herabsetzung der Personen, aus dem Gebrauch der komischen und vulgären Pantomime, aus der Disharmonie, aus dem Rückgriff
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