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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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den gleichen Visionen erfüllt war, wie sie Clara gesehen hatte, und oft ist es nur ein sehr kleiner Schritt von der ekstatischen Vision zum sündhaften Rausch«, sagte William.
    Ubertin ergriff Williams Hände, und erneut füllten sich seine Augen mit Tränen. »Sag so was nicht, William! Wie kannst du verwechseln zwischen dem Augenblick der ekstatischen Liebe, die dir die Eingeweide verbrennt mit dem Duft des Weihrauchs, und dem betäubenden Rausch der Sinne, der nach Schwefel riecht! Bentivenga hat dazu angestiftet, die nackten Glieder von Körpern zu berühren, er hat behauptet, nur dadurch könne man sich aus dem Reich der Sinne befreien, homo nudus cum nuda iacebat . . .«
    » Et non commiscebantur ad invicem . . .«
    »Lüge! Sie suchten das Vergnügen, wenn der fleischliche Trieb sich regte, sie hielten es nicht für Sünde, 40
    Der Name der Rose – Erster Tag
    wenn Mann und Frau zusammenlagen, um ihn zu befriedigen, wenn sie einander an allen Körperteilen berührten und küßten, wenn einer seinen nackten Bauch mit dem nackten Bauch der anderen vereinte!«
    Ich muß gestehen, daß die Art, wie Ubertin die Laster anderer stigmatisierte, mich nicht gerade zu tugendhaften Gedanken anregte. William hatte wohl meine Verwirrung bemerkt, denn er unterbrach den heiligen Mann und sagte:
    »Du bist ein feuriger Geist, Ubertin, du brennst in der Liebe zu Gott wie im Haß auf das Böse. Was ich sagen wollte, war lediglich, daß zwischen dem Feuer der Seraphim und dem Feuer des Luzifer nur ein geringer Unterschied ist, denn beide entspringen einer extremen Entzündung des Willens.«
    »Oh doch, es gibt einen großen Unterschied, und ich kenne ihn«, sagte Ubertin mit leuchtenden Augen.
    »Du willst sagen, daß der Wille zum Guten und der Wille zum Bösen nah beieinanderliegen, weil es in beiden Fällen nur um die Ausrichtung ein und desselben Willens geht. Das ist wahr. Aber der Unterschied liegt eben genau in dieser Ausrichtung auf verschiedene Objekte, und die Objekte lassen sich klar unterscheiden: einerseits Gott, andererseits der Teufel.«
    »Und ich fürchte eben, hier nicht mehr genau unterscheiden zu können, Ubertin. War es nicht deine Angela von Foligno, die eines Tages erzählte, sie sei, erleuchtet vom Geiste, im Grabe Christi gestanden?
    Sagte sie nicht, sie habe zuerst seine Brust geküßt, als sie ihn da liegen sah mit geschlossenen Augen, und dann habe sie seinen Mund geküßt und gespürt, wie seinen Lippen ein unsäglich süßer Duft entströmt sei, und nach einer kleinen Weile habe sie ihre Wange auf Christi Wange gelegt, und Christus habe seine Hand ihrer Wange genähert und sie fest an sich gezogen, und ihr Entzücken – so sagte sie – sei übermächtig geworden?«
    »Was hat das mit dem Ansturm der Sinne zu tun?« fragte Ubertin. »Das war eine mystische Erfahrung, und jener Leib war der Corpus Domini Nostri!«
    »Nun, vielleicht habe ich mich zu lange in Oxford aufgehalten«, erwiderte William, »wo auch die mystischen Erfahrungen andersgeartet waren . . .«
    »Ganz im Kopf, nicht wahr?« lächelte Ubertin.
    »Oder in den Augen. Wenn Gott als Licht empfunden wird, in den Strahlen der Sonne, in den Bildern der Spiegel, im Spiel der Farben auf den Teilen der wohlgeordneten Materie, in den Reflexen der Morgenröte auf den taufeuchten Blättern . . . Ist solche Liebe nicht näher der Liebe des heiligen Franz, der Gott in seinen Geschöpfen pries, in Blumen und Gräsern, in Wasser und Luft? Aus solcher Liebe kann niemals, so glaube ich, eine schwüle Verlockung kommen. Dagegen mißfällt mir eine Liebe, die ins Zwiegespräch mit dem Höchsten die Fieberschauer der fleischlichen Berührung einführt . . .«
    »Du redest lästerlich, William! Das ist nicht dasselbe. Es liegt ein gewaltiger Unterschied zwischen der hehren Ekstase dessen, der in Liebe zum gekreuzigten Christus entbrennt, und der frivolen Ekstase der falschen Apostel von Montefalco . . .«
    »Sie waren keine falschen Apostel, sie waren Brüder im Freien Geiste, du hast es selber gesagt.«
    »Wo ist da der Unterschied? Du weißt nicht alles, was damals in jenem Prozeß zutage gekommen ist, ich selbst habe nicht gewagt, gewisse Geständnisse aktenkundig zu machen, weil ich die Aura der Heiligkeit, die Clara an jenem Ort geschaffen hatte, nicht einmal für einen Augenblick mit dem Schatten des Dämons verdunkeln wollte. Aber ich habe gewisse Dinge erfahren, gewisse Dinge, William! Sie versammelten sich bei Nacht im Keller, nahmen ein

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