Der Name der Rose
neugeborenes Kind und warfen es sich einander zu, bis es an den Erschütterungen und Stößen – oder an anderem – starb, und wer es als letzter lebend auffing, so daß es in seinen Händen starb, der wurde zum Oberhaupt ihrer Sekte . . . Und der Körper des Kindes wurde zerrissen, und die Teile wurden zerstampft und dem Mehl beigemischt, aus dem sie blasphemische Hostien buken!«
»Ubertin«, sagte William mit fester Stimme, »diese Dinge sind vor Jahrhunderten den armenischen Bischöfen nachgesagt worden, der Paulizianer-Sekte und später den Bogomilen.«
»Was besagt das schon? Der Dämon ist blöde und einfallslos, er hält sich in seinen Verlockungen und Verführungen an einen sturen Rhythmus, er wiederholt seine Riten über Jahrtausende, er bleibt sich immer gleich, und eben daran erkennt man ihn als den Feind! Ich schwöre dir, sie zündeten Kerzen in der Osternacht an und holten sich junge Mädchen in den Keller. Dann löschten sie die Kerzen und warfen sich in der Dunkelheit auf die Mädchen, mochten diese auch mit ihnen verbunden sein durch Blutsbande . . .
Und wenn dann aus dieser blinden Vermischung ein Kind entstand, begann der höllische Ritus von neuem, alle versammelten sich um einen Bottich mit Wein, den sie ›das Tönnchen‹ nannten, um sich daran zu berauschen, und rissen das Neugeborene in Stücke und gössen sein Blut in eine Schale! Und sie warfen 41
Der Name der Rose – Erster Tag
Kinder lebendig ins Feuer und mischten die Asche der Kinder mit ihrem Blut und tranken es!«
»Genau das schrieb Michael Psellos vor dreihundert Jahren in seiner Dämonologie. Wer hat dir diese Dinge erzählt?«
»Sie, Bentivenga und die anderen, unter der Folter.«
»Es gibt nur eins, was die Menschen mehr erregt als die Lust, Ubertin, und das ist der Schmerz. Unter der Folter lebst du wie im Reich der Kräuter und Säfte, die Visionen erzeugen. Alles, was du jemals gehört, alles, was du jemals gelesen hast, kommt dir aufs lebhafteste in den Sinn, als wärst du entrückt, aber nicht zum Himmel, sondern zur Hölle. Unter der Folter sagst du nicht nur, was der Inquisitor von dir erwartet, sondern auch, was ihm vielleicht gefällt und Vergnügen bereitet, damit zwischen ihm und dir ein inniges (und nun wirklich diabolisches) Band entsteht . . . Ich weiß diese Dinge, Ubertin, ich habe selber zu jenen Leuten gehört, die meinten, sie könnten die Wahrheit mit glühenden Zangen ans Licht bringen. Doch wisse, die Glut der Wahrheit ist von anderer Flamme! Unter der Folter kann dir Bentivenga die absurdesten Lügengeschichten erzählt haben, denn nicht er sprach in jenem Augenblick, sondern seine Wollust, das Dämonische in seiner Seele.«
»Seine Wollust?«
»Ja, es gibt eine Wollust des Schmerzes, wie es eine Wollust der Anbetung gibt und sogar eine Wollust der Demut. Bedenke, wenn selbst den aufbegehrenden Engeln so wenig genügte, um ihre Inbrunst der Anbetung und der Demut umschlagen zu lassen in eine Inbrunst der Hoffart und der Rebellion gegen Gott, was soll man dann von den schwachen Menschen sagen? Dieser Gedanke war es, nun weißt du's, der mir im Verlauf meiner Inquisitionen kam. Und genau darum verzichtete ich auf diese Tätigkeit. Mir schwand der Mut, die Schwächen der Übeltäter zu untersuchen, als ich entdeckte, daß sie auch die Schwächen der Heiligen sind.«
Den letzten Worten meines Herrn und Meisters hatte Ubertin zugehört, als verstünde er immer weniger, wovon die Rede war. Am Ausdruck seines Gesichtes, das zunehmend Mitleid bekundete, sah ich, daß er William für das Opfer heftiger Schuldgefühle hielt, die er ihm freilich verzieh, weil er ihn sehr liebte. So unterbrach er ihn und sagte enttäuscht: »Wenn du solche Gefühle hattest, tatest du sicher gut daran, dein schweres Amt niederzulegen. Mir aber fehlte damals deine Hilfe, gemeinsam hätten wir jene üble Bande zerschlagen können. Statt dessen wurde ich, wie du weißt, dann selber der Ketzerei beschuldigt. Ach William, auch du warst also zu schwach im Kampfe gegen das Übel! Das Übel, William – wird dieser Fluch denn niemals enden, diese Finsternis, dieser Morast, der uns hindert, zur reinen Quelle vorzudringen?« Er trat noch einen Schritt näher an William heran, als hätte er Angst, daß ihn jemand hörte: »Auch hier geht es um, auch hier in diesen geweihten Mauern! Weißt du es?«
»Ich weiß es, der Abt hat es mir gesagt, er hat mich sogar gebeten, ihm bei der Aufklärung behilflich zu sein.«
»Dann suche,
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