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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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    »Ja, und ihre Könige sind die Kaufleute. Und ihre Waffe ist das Geld. Das Geld hat in Italien eine ganz andere Funktion als in deiner Heimat oder in meiner. Geld zirkuliert in allen Ländern, aber bei uns wird ein Großteil des Lebens noch durch den Austausch von Gütern geregelt, Hühner für Korn oder eine Sichel für einen Karren, und das Geld dient dazu, sich diese Güter zu beschaffen. In den italienischen Städten dienen die Güter dazu, sich Geld zu beschaffen. Auch die Priester, die Bischöfe und sogar die heiligen Orden müssen ihre Rechnung mit diesem Geld machen. Und deswegen drückt sich natürlich die Rebellion gegen die Mächtigen als Appell zur Armut aus, und gegen die Mächtigen rebellieren jene, die nicht teilhaben dürfen an dieser Beziehung zum Geld, und jeder Appell zur Armut ruft große Spannungen und lebhafte Diskussionen hervor, und die ganze Stadt, vom Bischof bis zum Magistrat, empfindet jeden, der zuviel Armut predigt, als ihren persönlichen Feind. Die Inquisitoren riechen den Schwefelgestank des Teufels, sobald jemand auf den Gestank hinweist, der vom Kot des Teufels aufsteigt. Und nun verstehst du auch, was dem guten Aymarus vorschwebt. In den goldenen Zeiten des Ordens war eine Benediktinerabtei ein Ort, von dem aus die Hirten die Herde der Gläubigen kontrollierten. Aymarus will, daß diese Abtei zur Tradition zurückkehrt. Nur hat sich das Leben der Herde inzwischen geändert, und daher kann die Abtei nur zur Tradition zurück (und zu ihrem Ruhm und zu ihrer Macht von einst), wenn sie die neuen Lebensweisen der Herde akzeptiert und sich selber verändert. Und da man die Herde hier und heute nicht mehr mit Waffen beherrscht oder durch prächtige Zeremonien, sondern durch die Kontrolle über das Geld, will Aymarus, daß die ganze Abtei mitsamt der Bibliothek zu einer großen Werkstatt werde, zu einer Manufaktur, einer geldheckenden Fabrik.«
    »Und was hat das alles mit dem oder den Verbrechen zu tun?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aber laß uns jetzt hinaufgehen ins Skriptorium.«
    Die Mönche saßen bereits wieder an ihrer Arbeit. In dem großen Saal herrschte Stille, aber es war nicht die Stille, die dem emsig tätigen Frieden der Herzen entströmt. Berengar, der kurz zuvor ins Skriptorium gekommen war, empfing uns mit einem ängstlichen Blick. Auch die anderen Mönche hoben die Köpfe, als wir eintraten. Sie wußten, daß wir gekommen waren, um etwas über Venantius herauszufinden, und die Richtung ihrer Blicke lenkte unsere Aufmerksamkeit auf einen leeren Platz unter einem der Fenster, die zu dem achteckigen Innenhof hinausgingen.
    Obwohl es ein ziemlich kühler Morgen war, herrschte eine milde Temperatur im Skriptorium. Es war nicht zufällig über der Küche angelegt worden, aus der genug Wärme heraufdrang, zumal die Rauchabzüge der beiden unteren Feuerstätten durch die Mittelpfeiler der beiden Wendeltreppen im West- und Südturm gingen. Der Nordturm am oberen Ende des großen Saales barg keine Treppe, aber dafür einen breiten Kamin, der eine freundliche Wärme verbreitete. Außerdem war der Boden mit einem dicken Strohteppich belegt, der unsere Schritte fast unhörbar machte. Der kühlste Winkel des ganzen Saales war der vor dem Ostturm, durch den wir vom Refektorium aus hinaufgestiegen waren, und in der Tat bemerkte ich gleich, daß die Mönche es offenbar vermieden, sich an einen der hier aufgestellten Tische zu setzen, solange 81
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    genügend andere verfügbar waren. Als ich später feststellte, daß die große Wendeltreppe im Ostturm als einzige nicht nur bis zum Skriptorium führte, sondern noch weiter hinauf zur Bibliothek, fragte ich mich, ob möglicherweise die Heizung des Saales bewußt und in voller Absicht so angelegt worden war, um die Mönche in raffiniertem Kalkül davon abzuhalten, sich in jener Ecke herumzutreiben, so daß der Bibliothekar den Zugang zum Oberstock leichter bewachen konnte. Aber das war vielleicht ein übertriebener Verdacht, und ich wurde allmählich zum albernen Nachäffer meines Lehrers, denn gleich darauf fiel mir ein, daß ein solches Kalkül im Sommer ja wohl kaum aufgehen konnte – es sei denn (so sagte ich mir), daß besagte Ecke im Sommer womöglich die sonnigste war und folglich erneut die am meisten gemiedene.
    Der Tisch des Venantius stand direkt gegenüber dem großen Kamin und war vermutlich einer der erstrebenswertesten. Ich hatte damals erst wenige Jahre meines Lebens in einem Skriptorium

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