Der Name der Rose
Verwandtschaften zwischen den Dingen erkennen . . .
In diese Gedanken war ich versunken, während mein Meister still seine Milch trank, als uns plötzlich jemand von hinten seinen Gruß entbot. Es war Aymarus von Alessandria, den wir bereits im Skriptorium kennengelernt hatten und dessen Gesichtsausdruck mir schon beim ersten Mal als bemerkenswert aufgefallen war: ein unaufhörliches spöttisches Lächeln, als schüttelte er fortwährend verwundert den Kopf über die unausweichliche Dummheit und Hinfälligkeit aller menschlichen Wesen, ohne jedoch dieser Tragödie kosmischen Ausmaßes allzu große Bedeutung beizumessen.
»Nun, Bruder William«, hob er an, »habt Ihr Euch schon an dieses Irrenhaus hier gewöhnt?«
»Mir scheint die Abtei eher eine Stätte hoch würdiger und gelehrter Mönche zu sein«, sagte William behutsam.
»Das war sie einmal. Als die Äbte noch Äbte waren und die Bibliothekare noch Bibliothekare. Aber jetzt habt Ihr ja selbst gesehen: Dort droben« – er deutete zum Skriptorium hinauf – »horcht dieser halbtote Deutsche mit den Augen eines Blinden voller Andacht und Hingabe auf das irre Gefasel dieses blinden Spaniers mit den Augen eines Toten, man möchte meinen, daß der Antichrist jeden Moment hereinspaziert kommt, an alten Pergamenten wird fleißig herumgeschabt, aber neue Bücher kommen nur selten in die Bibliothek . . . Wir reden hier oben auf unserem Berg, und drunten in den modernen Städten wird unterdessen gehandelt . . . Früher wurde von unseren Abteien aus die Welt regiert. Heute seht Ihr ja selbst, was daraus geworden ist: Der Kaiser benutzt uns zwar noch, um seine Freunde zu uns heraufzuschicken, damit sie sich hier mit seinen Feinden treffen (ja, ja, ich weiß ein wenig über Eure Mission, die Mönche reden und reden, sie haben ja auch nichts anderes zu tun), aber wenn er die Dinge in diesem Land kontrollieren will, begibt er sich in die Städte. Wir ernten hier Korn und züchten Federvieh, aber drunten tauschen sie Seide und Linnen und Spezereien und lassen sich gutes Geld dafür geben. Wir hüten hier oben unseren Schatz, aber drunten akkumulieren sie Güter und Reichtümer. Und Bücher. Schönere Bücher, als wir sie haben . . .«
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Der Name der Rose – Zweiter Tag
»Gewiß tut sich in der Welt viel Neues. Aber warum meint Ihr, daß der Abt daran schuld sei?«
»Weil er die Bibliothek in die Hände von Ausländern gelegt hat, und weil er die Abtei fuhrt, als wäre sie eine Zitadelle zur Verteidigung der Bibliothek. Eine Benediktinerabtei in dieser Gegend Italiens müßte ein Ort sein, worin Italiener über italienische Dinge entscheiden. Was tun die Italiener draußen im Lande, heute, da sie nicht mal mehr einen Papst haben? Sie treiben Handel, sie stellen Waren her, sie sind reicher als der König von Frankreich. Also tun wir es ihnen gleich! Wenn wir schöne Bücher herstellen können, nun gut, so bieten wir unsere Dienste den Universitäten an! Und kümmern wir uns um das, was drunten im Tal geschieht! Ich denke dabei gar nicht an den Kaiser (mit allem Respekt vor Eurer Mission, Bruder William), ich denke an das, was die Bologneser oder die Florentiner tun. Wir könnten von hier aus sehr gut den Paßweg der Pilger und Kaufleute kontrollieren, die von Italien übers Gebirge in die Provence ziehen und umgekehrt. Und öffnen wir unsere Bibliothek den Texten in der Sprache des Volkes, dann werden bald auch jene zu uns heraufkommen, die heute nicht mehr lateinisch schreiben . . . Aber statt dessen werden wir von einer Handvoll verkalkter Ausländer kontrolliert, die unsere Bibliothek noch immer so fuhren, als wäre der gute alte Odillon immer noch Abt von Cluny . . .«
»Aber Euer Abt ist doch Italiener«, sagte William.
»Der Abt hat hier nichts zu sagen«, antwortete Aymarus verächtlich mit seinem steten spöttischen Grinsen. »Wo er einen Kopf haben sollte, hat er einen alten Bücherschrank. Einen wurmstichigen. Um den Papst zu ärgern, läßt er es zu, daß die Abtei von Fratizellen überschwemmt wird (ich spreche von den häretischen, Bruder, von den Überläufern aus Eurem heiligen Orden . . .). Und um dem Kaiser zu gefallen, ruft er Mönche aus allen Klöstern Nordeuropas hierher, als hätten wir in Italien nicht genügend tüchtige Schreiber und Gelehrte, die des Griechischen und des Arabischen mächtig sind, als gäbe es in Florenz oder Pisa nicht genug Söhne reicher und großzügiger Kaufleute, die gern in unseren Orden eintreten würden, wenn er ihnen
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