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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hielt es für möglich.«
    »Und Ihr?«
    »Auch ich habe daran geglaubt. Aber um daran glauben zu können, muß man davon überzeugt sein, daß die einfachen Leute im Recht sind, weil sie die Intuition des Individuellen haben, die einzig richtige. Und wenn die Intuition des Individuellen die einzig richtige ist, wie kann es dann der Wissenschaft je gelingen, die allgemeinen Gesetze zu finden, durch die und mit deren Interpretation die positive Magie schließlich wirksam wird?«
    »Ja, das ist wahr«, sagte ich betroffen, »wie kann ihr das je gelingen?«
    »Ich weiß es auch nicht mehr. Ich habe in Oxford zu viele Diskussionen geführt mit meinem alten Freund William von Ockham, der nun in Avignon ist. Er hat mir Zweifel ins Herz gesät. Wenn nämlich allein die Intuition des Individuellen die richtige ist, dann läßt sich der Satz, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen zeitigen, kaum noch beweisen. Ein und derselbe Körper kann warm oder kalt, süß oder bitter, feucht oder trocken, an einem bestimmten Ort sein und an einem anderen nicht. Wie kann ich den universalen Zusammenhang aufdecken, der die Dinge in eine Ordnung versetzt, wenn ich nicht einmal meinen kleinen Finger zu rühren vermag, ohne dadurch eine Unzahl neuer Gegebenheiten zu schaffen, da sich mit dieser winzigen Bewegung sämtliche Relationen zwischen meinem Finger und allen anderen Objekten verschieben? Die Relationen sind die Modi, in denen mein Geist das Verhältnis zwischen den einzelnen Gegebenheiten wahrnimmt, aber was garantiert mir, daß der Modus dann universal, allgemeingültig und stabil ist?«
    »Aber Ihr wißt doch, daß einer bestimmten Form dieser Linse eine bestimmte Sehfähigkeit entspricht, und weil Ihr das wißt, könnt Ihr Linsen von ebenderselben Art anfertigen, wie Ihr sie verloren habt. Wie sonst wäre Euch das möglich?«
    »Eine gute Antwort, Adson. In der Tat habe ich den Satz aufgestellt, daß einer gleichen Form der Linse eine gleiche Sehfähigkeit entsprechen muß. Ich habe ihn aufgestellt, weil ich früher, bei anderen Gelegenheiten, individuelle Intuitionen der gleichen Art gehabt hatte. Zweifellos weiß jeder, der die Heilkraft der Kräuter experimentell untersucht, daß alle einzelnen Exemplare eines bestimmten Krautes, wenn sie in gleicher Weise verabreicht werden, beim Patienten die gleiche Wirkung zeitigen, und so kann der Experimentator den Satz aufstellen, daß jedes Individuum einer bestimmten Pflanze dem Fiebernden Linderung verschafft, oder daß jede Linse dieser besonderen Form in gleicher Weise die Sehkraft der Augen verstärkt. Die Wissenschaft, von der Roger Bacon sprach, dreht sich ohne Zweifel um solche Sätze. Aber merke: Ich spreche von Sätzen, also von Aussagen über die Dinge, nicht von den Dingen selbst. Die Wissenschaft hat es mit Aussagen, Sätzen und Begriffen zu tun, und die Begriffe bezeichnen einzelne Dinge. Verstehst du mich, Adson, ich muß davon ausgehen, daß mein Satz richtig ist, denn ich habe ihn aufgrund bestimmter Erfahrungen gewonnen. Doch um an seine Richtigkeit glauben zu können, muß ich annehmen, daß es allgemeine Gesetze gibt, von denen ich aber nicht sprechen kann, denn der bloße Gedanke, es könnte so etwas wie allgemeine Gesetze und eine feste Ordnung der Dinge geben, impliziert bereits, daß Gott ihr Gefangener wäre – Gott, der doch so absolut frei ist, daß er die ganze Welt, wenn er nur wollte und mit einem einzigen Akt seines Willens, verändern könnte!«
    »Wenn ich Euch also recht verstehe, dann macht Ihr etwas und wißt, warum Ihr es macht; aber Ihr wißt nicht, warum Ihr wißt, daß Ihr wißt, was Ihr macht?«
    Ich muß sagen, daß William mich bewundernd ansah. »Vielleicht ist es so. Jedenfalls erklärt es dir, warum ich meiner Wahrheit so ungewiß bin, auch wenn ich an sie glaube.«
    »Ihr seid noch mystischer als Ubertin«, sagte ich maliziös.
    »Mag sein. Aber ich arbeite, wie du siehst, an den Dingen der Natur. Auch in der Untersuchung, die wir hier durchführen, will ich gar nicht wissen, wer der Gute und wer der Böse ist, sondern nur herausfinden, wer gestern nacht im Skriptorium war und meine Augengläser genommen hat, und wer gestern morgen im Schnee die Spur eines Körpers gemacht hat, der einen anderen Körper schleppte, und wo Berengar ist. Das sind die Tatsachen, später werde ich dann versuchen, sie in einen Zusammenhang zu bringen, sofern das irgendwie möglich ist. Denn es ist immer schwer zu sagen, welche Ursache welche Wirkung erzeugt

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