Der Name der Rose
verbessern.«
»Aber das genügt nicht!«
»Ich sage hier mehr, als es dir scheinen mag, lieber Adson. Ich habe dir schon öfter von Roger Bacon erzählt. Er war vielleicht nicht der Weiseste aller Zeiten, aber ich war stets fasziniert von der Hoffnung, die seine Liebe zur Weisheit beseelte. Bacon glaubte an die Kraft des einfachen Volkes, an seine Bedürfnisse und geistigen Inventionen. Er wäre kein guter Franziskaner gewesen, wenn er nicht gedacht hätte, daß die Armen und Entrechteten, die Idioten und Illiteraten oft mit dem Munde Unseres Herrn sprechen. Hätte er die Fratizellen näher kennengelernt, er wäre ihnen mit größerer Aufmerksamkeit gefolgt als den Provinzialen des Ordens. Die einfachen Laien haben etwas, das den hochgelehrten Doktoren, die sich oft in der Suche nach den allgemeinen Gesetzen verlieren, abgeht: die Intuition des Individuellen. Aber diese Intuition allein genügt nicht. Die einfachen Laien fühlen eine Wahrheit, die vielleicht wahrer ist als die Wahrheit der Theologen, doch dann vergeuden sie diese gefühlte Wahrheit in unbedachten Aktionen. Was kann man dagegen tun? Den Laien die Wissenschaft bringen? Das wäre zu einfach oder vielleicht auch zu schwierig. Und außerdem welche Wissenschaft? Die der Bücher in Abbos Bibliothek? Die französischen Meister haben sich dieses Problem gestellt. Der große Bonaventura sagte, die Gelehrten müßten die Wahrheit, die in den Aktionen der einfachen Leute steckt, zu begrifflicher Klarheit bringen …«
»So wie es Ubertins Denkschriften und das Kapitel zu Perugia getan haben, als sie das Streben der einfachen Leute nach Armut in theologische Lehrentscheidungen übersetzten?«
»Ja, aber das kommt meistens zu spät, wie du gesehen hast, und wenn es kommt, hat sich die Wahrheit der einfachen Leute bereits in die Wahrheit der Mächtigen verwandelt, die dem Kaiser mehr nützt als den kleinen Brüdern des armen Lebens. Wie bleibt man den Erfahrungen der einfachen Leute nahe, indem man sich sozusagen ihre operative Kraft, ihre Handlungsfähigkeit bewahrt, um damit ihre Welt zu verändern und zu verbessern? Das war Bacons Problem. › Quod enim laicali ruditate turgescit non habet effectum nisi fortuito ‹ 52 , sagte er: Die Erfahrung der einfachen Leute mündet in wilde und unkontrollierte Aktionen. › Sed opera sapientiae certa lege vallantur et in finem debitum efficaciter diriguntur. ‹ 53 Mit anderen Worten: Auch zur Lösung der praktischen Aufgaben, seien es die der Mechanik, der Landwirtschaft oder der Regierung einer Stadt, ist eine Art von Theologie erforderlich. Bacon dachte, das neue große Unternehmen der Gelehrten müsse die neue Wissenschaft von der Natur sein; es gelte, durch eine neue Erkenntnis der Naturprozesse die elementaren Bedürfnisse zu koordinieren, die auch das wirre, aber auf seine Weise wahre und richtige Knäuel der Hoffnungen und Erwartungen des einfachen Volkes bilden. Die neue Wissenschaft als die neue magia naturalis . Nur daß Bacon noch meinte, dieses gewaltige Unternehmen müsse von der Kirche geführt werden, was vermutlich daran lag, daß zu seiner Zeit der Klerus noch so gut wie identisch war mit der Gemeinschaft der Gebildeten und Gelehrten. Heute ist das nicht mehr so, heute gibt es Gelehrte außerhalb der Klöster und Kathedralen, ja sogar außerhalb der Universitäten. Zum Beispiel hier in Italien: Der größte Philosoph, den unser Jahrhundert bislang hervorgebracht hat, war kein Mönch, sondern ein Privatgelehrter. Ich meine den Florentiner Alighieri, du hast gewiß schon von seinem großen Gedicht gehört. Ich habe es nie gelesen, da ich seine Volkssprache nicht verstehe, und es würde mir wohl auch kaum gefallen, denn soviel ich weiß, handelt es von abstrusen Dingen, die unserer Erfahrung sehr fernstehen. Aber daneben hat er die klügsten Dinge geschrieben, die uns zu verstehen gegeben sind, tiefe Einsichten über das Wesen der Elemente und die Natur des Kosmos, desgleichen über die richtige Führung der Staaten. Auch meine Freunde und ich sind heute der Ansicht, daß es nicht der Kirche, sondern der Volksversammlung zukommt, die Gesetze zur Führung der menschlichen Angelegenheiten zu erlassen, und in gleicher Weise, so meine ich, wird es künftig der Gelehrtengemeinschaft zukommen, diese grundlegend neue und menschliche Theologie zu verbreiten, die eine natürliche Philosophie und positive Magie ist.«
»Ein großartiges Unternehmen«, sagte ich, »aber wird es durchführbar sein?«
»Bacon
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