Der Name der Rose
können, war gesprungen, als er sie in den Metallring einzusetzen versuchte. Untröstlich stand der wackere Glaser vor uns, rang verzweifelt die Hände und zeigte zum Himmel empor: Die Stunde der Vesper war gekommen, es begann schon dunkel zu werden – für heute war an ein Weitermachen nicht mehr zu denken! Noch ein verlorener Tag, knurrte William grimmig und mußte sich sehr beherrschen (wie er mir später gestand), dem Unglücksraben nicht an die Gurgel zu springen, der freilich auch ohnedies schon zerknirscht genug vor uns stand.
Wir überließen ihn seiner Zerknirschung und gingen, uns nach Berengar zu erkundigen. Natürlich hatte ihn niemand gefunden.
Lähmende Unschlüssigkeit überfiel uns, wir waren an einem toten Punkt angelangt. Alles schien zu stagnieren. Um unseren Geist ein wenig zu lüften, taten wir ein paar Schritte im Kreuzgang. William ging schweigend neben mir her, sichtlich in seine Gedanken vertieft. Nach einer Weile sah ich ihn plötzlich stehenbleiben und blicklos ins Leere starren. Kurz zuvor hatte er aus seiner Kutte ein wenig von jenem Kraut gezogen, das er, wie ich eingangs erwähnte, manchmal an Wald- und Wiesenrändern zu sammeln pflegte, und kaute nun selbstvergessen darauf herum. Es schien, als verschaffte es ihm auf eigentümliche Weise Erregung und Ruhe zugleich, denn er wirkte zwar völlig abwesend, aber von Zeit zu Zeit leuchteten seine Augen auf, als hätte sich gerade in seinem leeren Geist eine neue Idee entzündet; gleich darauf versank er dann wieder in jenen sonderbar aktiven, regen Stumpfsinn, den ich bei keiner anderen Person je beobachtet habe. Plötzlich murmelte er: »Ja, das wäre möglich …«
»Was?« fragte ich.
»Nun, ich habe gerade darüber nachgedacht, wie man sich im Labyrinth zurechtfinden könnte, und da ist mir eine Idee gekommen. Sie ist nicht leicht zu verwirklichen, aber es müßte gehen … Paß auf: Wir wissen, daß der Ausgang im Ostturm ist. Angenommen, wir hätten eine Maschine, die uns anzeigt, wo Norden ist. Was wäre dann?«
»Dann brauchten wir uns nur nach rechts zu drehen und gingen in östlicher Richtung. Oder wir machten kehrt und wüßten, daß wir nach Süden gingen. Aber selbst wenn es solch eine Zaubermaschine gäbe, bliebe das Labyrinth doch ein Labyrinth, und sobald wir ein paar Schritte nach Osten getan hätten, würden wir auf eine Wand stoßen, müßten folglich die Richtung ändern und wären bald wieder verloren …«
»Gewiß, aber die Maschine, von der ich spreche, würde immer nach Norden zeigen, auch wenn wir die Richtung geändert hätten, sie könnte uns also an jedem Punkt zeigen, wie es weitergeht.«
»Das wäre wunderbar. Aber dazu müßten wir diese Maschine erst einmal haben, und sie müßte imstande sein, den Norden auch bei Nacht und in geschlossenen Räumen zu finden, ohne sich an den Sternen oder der Sonne zu orientieren … Und nicht einmal Euer Roger Bacon wird eine solche Wundermaschine besessen haben«, sagte ich spöttisch.
»Da irrst du«, erwiderte William, »eine solche Maschine ist tatsächlich konstruiert worden, und einige Seefahrer haben sie auch schon benutzt. Sie braucht weder die Sterne noch die Sonne, denn sie macht sich die Kraft eines wunderbaren Steins zunutze: eines Steins, der Eisen anzieht, wie jener, den wir in Severins Laboratorium gesehen haben. Bacon hat diesen Stein studiert, und ein picardischer Magier namens Pierre de Maricourt, auch Petrus Peregrinus genannt, hat seine vielfältigen Gebrauchsmöglichkeiten beschrieben.«
»Und Ihr könntet mit ihm solch eine Maschine bauen?«
»An sich wäre das gar nicht so schwer. Der Stein kann zur Herstellung vieler Wunderdinge benutzt werden, unter anderem zur Konstruktion einer Maschine, die sich unablässig bewegt ohne äußeren Antrieb, doch die einfachste Anwendungsweise ist auch von einem Araber namens Baylek Al-Qabayaki beschrieben worden. Nimm eine Schale voll Wasser und setz darauf einen Korken, in welchen du eine eiserne Nadel eingeführt hast. Dann fahre mit dem Magnetstein in kreisender Bewegung über die Wasseroberfläche, bis die Nadel dieselben Eigenschaften wie der Stein angenommen hat. Nun wird die Nadel (doch auch der Stein hätte es getan, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, sich um einen Zapfen zu drehen) ihre Spitze nach Norden ausrichten, und wenn du dich mit der Schale bewegst, wird sie immerfort weiter nach Norden zeigen. Und selbstredend wirst du nun, wenn du am Rand der Schale auch noch die Richtungen der
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