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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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vier Winde entsprechend markiert hast, jederzeit wissen, wohin du dich in der Bibliothek zu wenden hast, um den Ostturm zu erreichen.«
    »Ein wahres Wunderding!« rief ich aus. »Aber sagt mir, warum zeigt die Nadel immer nach Norden? Der Stein zieht Eisen an, das habe ich gesehen, und ich kann mir denken, daß eine gewaltige Eisenmenge den Stein anzieht. Doch dann … dann müßte es unter dem Nordstern, an den äußersten Grenzen der Erde, riesige Eisenberge geben!«
    »Manche haben tatsächlich so etwas vermutet. Allerdings zeigt die Nadel nicht genau zum Nordstern, sondern zu jenem Punkt, wo sich die Himmelsmeridiane treffen. Weshalb man zu Recht gesagt hat: hic lapis gerit in se similitudinem coeli 54 , denn offensichtlich empfangen die Pole des Magneten ihre Inklination von den Polen des Himmels und nicht von denen der Erde. Womit wir ein schönes Beispiel für eine Bewegung haben, die aus der Ferne induziert und nicht durch eine direkte materiale Kausalität verursacht wird – ein Problem, mit welchem sich mein Freund Johannes von Jandun befaßt, wenn der Kaiser ihn nicht gerade bittet, Avignon in den Orkus zu stampfen …«
    »Also gehen wir rasch und holen uns Severins Stein und eine Schale und Wasser und einen Korken …«, rief ich voller Eifer.
    »Langsam, langsam«, dämpfte William meinen Tatendrang. »Ich weiß nicht warum, aber ich habe noch nie erlebt, daß eine Maschine, die in den Schriften der Philosophen perfekt beschrieben wird, dann in der Praxis auch genauso perfekt funktioniert (während die schlichte Sense des Landmanns, die kein Philosoph je beschrieben hat, stets bestens funktioniert …). Ich fürchte, wenn wir beide im Labyrinth herumlaufen, in der einen Hand eine Lampe und in der anderen eine Schale voll Wasser … Warte mal, mir kommt da eine andere Idee. Die Maschine zeigt immer nach Norden, auch außerhalb des Labyrinths, nicht wahr?«
    »Ja, aber außerhalb des Labyrinths brauchen wir sie nicht, da haben wir die Sterne und die Sonne …«
    »Sicher, sicher. Aber wenn die Maschine draußen so gut wie drinnen funktioniert, warum dann nicht auch unser Kopf?«
    »Unser Kopf? Gewiß funktioniert er auch draußen, und von draußen erkennen wir die Orientierung des Aedificiums in der Tat leicht, nur eben drinnen finden wir uns dann nicht mehr zurecht!«
    »Genau. Aber vergiß jetzt die Maschine. Das Nachdenken über sie hat mich zum Nachdenken über die Gesetze der Natur und unseres Denkens gebracht. Und jetzt weiß ich, worum es geht: Wir müssen eine Möglichkeit finden, von außen zu beschreiben, wie das Aedificium von innen ist.«
    »Und wie?«
    »Laß mich nachdenken, es kann nicht so schwierig sein …«
    »Und was ist mit der Orientierungsmethode, von der Ihr gestern spracht? Wolltet Ihr nicht die Sache mit den drei Kohlezeichen an jedem Durchgang probieren?«
    »Nein, Adson, je länger ich darüber nachdenke, desto weniger überzeugt sie mich. Vielleicht habe ich die Regel nicht mehr vollständig im Kopf, vielleicht braucht man auch, um sich in einem Labyrinth zurechtzufinden, am Ausgang eine hilfreiche Ariadne, die den Faden in der Hand hält. Aber so lange Fäden gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, hieße das wohl (denn Fabeln sagen ja oft die Wahrheit), daß man nur mit äußerer Hilfe aus einem Labyrinth herauskommt – jedenfalls solange die Gesetze draußen mit denen drinnen identisch sind … Hör zu, Adson, wir werden die mathematischen Wissenschaften anwenden. Denn nur in den mathematischen Wissenschaften, sagt Averroes, fallen die Dinge, die uns bekannt sind, mit den im absoluten Sinne bekannten Dingen zusammen.«
    »Also laßt Ihr doch universale Erkenntnisse gelten!«
    »Die mathematischen Erkenntnisse sind Sätze, die unser Verstand so konstruiert hat, daß sie stets funktionieren, als wären sie wahr, sei's weil sie uns angeboren sind, sei's weil die Mathematik vor den anderen Wissenschaften erfunden wurde. Und die Bibliothek ist von einem menschlichen Geist konstruiert worden, der mathematisch dachte, denn ohne Mathematik errichtet man kein Labyrinth. Infolgedessen geht es darum, unsere mathematischen Sätze mit denen des Konstrukteurs zu vergleichen, und aus diesem Vergleich kann sich wissenschaftliche Erkenntnis ergeben, denn es handelt sich um eine Wissenschaft von Termini über Termini. Und im übrigen hör jetzt endlich auf, mich in metaphysische Diskussionen zu verwickeln! Welcher Teufel reitet dich heute? Geh lieber rasch, du hast bessere Augen als ich,

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