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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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geringer Bildung genannt worden sein. Nur daß ich nun nicht begriff, warum dann Michele einen so entsetzlichen Tod erleiden wollte, um dem Kaiser einen Gefallen zu tun oder um eine Streitfrage zwischen Orden zu schlichten. Und tatsächlich rief einer aus der Menge: »Er ist kein Heiliger, er ist vom Kaiser ausgeschickt worden, um Zwietracht unter den Bürgern zu säen, und die Fratizellen sind zwar Toskaner, aber hinter ihnen stehen die Gesandten des Reiches!« Und andere riefen: »Er ist ein Narr, er ist vom Dämon besessen und aufgeblasen vor Stolz, er genießt sein Martyrium in gottloser Hoffart!« Und wieder andere: »Nein, wir brauchten viele Christen wie diesen, bereit, ihren Glauben zu bezeugen wie einst in den Zeiten der Heiden!« Und während ich all diese Stimmen hörte und nicht mehr wußte, wo mir der Kopfstand, geschah es, daß ich dem Verurteilten, den die Menge bisher meinen Blicken verborgen hatte, auf einmal direkt ins Angesicht sehen konnte. Und ich sah das Angesicht eines Menschen, der etwas erschaut, das nicht von dieser Welt ist, leuchtend in einer Verklärung, wie man sie zuweilen auf Bildern von visionär entrückten Heiligen sieht. Und jäh begriff ich, daß dieser Mensch, ob Narr oder Seher, klarsichtig sterben wollte, weil er glaubte, durch seinen Tod seine Feinde besiegen zu können, wer immer sie waren. Und ich begriff auch, daß seinem Beispiel noch viele weitere folgen würden. Nur bestürzte mich seine ungeheuerliche Entschlossenheit – weiß ich doch heute noch nicht, was in solcherart todesmutigen Menschen überwiegt: eine stolze Liebe zu ihrer Wahrheit, für die sie in den Tod zu gehen bereit sind, oder ein stolzes Verlangen nach Tod, um dessentwillen sie ihre Wahrheit bezeugen, welche immer es sei. Und so bin ich, wenn ich daran denke, heute noch hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Entsetzen.
    Doch zurück zu Micheles Hinrichtung, denn inzwischen strömten die Florentiner von allen Seiten herbei.
    Der Hauptmann und seine Männer führten den Todeskandidaten durch die Gassen der Stadt zum Tor hinaus. Er war nur mit seinem Hemd bekleidet, das ihm am Halse weit offen stand, und er ging gemessenen Schrittes, das Haupt gesenkt, auf den Lippen Worte, die wie Gebete eines Märtyrers klangen. Und eine riesige Menschenmenge begleitete ihn, daß man es kaum glauben mochte, und viele riefen: »Nicht sterben! Du sollst nicht sterben!« und er rief zurück: »Ich will sterben für Christum!« »Aber du stirbst nicht für Christum«, erwiderten sie, und er: »Aber für die Wahrheit!« Und als sie an die Stelle gelangten, die man in Florenz die Ecke des Prokonsuls nennt, rief einer, er solle Gott bitten für sie alle, und er segnete die Menge. Und bei den Fundamenten der Sankta Liperata rief einer: »Tor, der du bist, glaub doch an den Papst!« und er erwiderte: »Ihr habt aus eurem Papst einen Gott gemacht«, und fügte spöttisch hinzu: »Dabei haben euch diese eure paperi ganz schön das Fell gegerbt« (was, wie man mir erklärte, ein witziges Wortspiel im toskanischen Dialekt war, das aus den Päpsten so etwas wie Gänseriche machte). Und alle verwunderten sich, daß er scherzte auf seinem Weg in den Tod.
    Bei Sankt Johannes riefen die Leute: »Rette dein Leben!« und er rief zurück: »Rettet ihr euch vor der Sünde!«; auf dem Altmarkt riefen sie: »Rette dich, rette dich!« und er erwiderte: »Rettet ihr euch vor der Hölle!«; auf dem Neumarkt schrien sie: »Bereue, bereue!« und er entgegnete: »Bereut ihr euren Wucher!« Als der Zug bei Santa Croce ankam, sah ich die Fratres seines Ordens auf der Treppe stehen, und er warf ihnen vor, sie hätten die Regel des heiligen Franz nicht befolgt, was einige nur mit einem Achselzucken quittierten; andere aber verhüllten schamhaft ihr Haupt in der Kapuze.
    Als wir uns dem Tor der Gerechtigkeit näherten, riefen viele: »Widerrufe, widerrufe, geh nicht in den Tod!« und er: »Christus ist für uns in den Tod gegangen!« Und sie: »Aber du bist nicht Christus, du darfst nicht für uns sterben!« und er: »Aber ich will für ihn sterben!« Auf dem Gerichtsanger fragte ihn einer, ob er es nicht halten wolle wie ein gewisser hochgestellter Mitbruder seines Ordens, der widerrufen habe, doch Michele antwortete, jener habe nicht widerrufen. Und ich sah, daß viele im Volk ihm zustimmten und ihn bestärkten in seiner Haltung, was mir und vielen anderen zeigte, daß diese wohl seine Anhänger waren, und ängstlich rückten wir von ihnen

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