Der Name der Rose
ab.
Schließlich traten wir durch das Tor hinaus, und vor unseren Augen erhob sich der Scheiterhaufen oder das »Hüttchen«, wie die Florentiner sagten, weil die Balken in Form einer kleinen Blockhütte übereinandergeschichtet waren, und es wurde ein Kreis aus bewaffneten Reitern gebildet, damit das Volk nicht zu nahe herankam. Dann ward Michele an den Pfahl gebunden. Und wieder hörte ich einen schreien: »Was ist das nur, wofür du sterben willst?« und er antwortete: »Es ist eine Wahrheit, die in mir wohnt und die ich nur bezeugen kann, indem ich sterbe.« Das Feuer wurde entzündet, und Frau Michele, der schon das Credo gesungen hatte, stimmte nun auch das Te Deum an. Er mochte vielleicht acht Verse davon gesungen haben, da beugte er sich auf einmal nach vorn, als müsse er niesen, und fiel zu Boden, denn die Stricke waren verbrannt. Und da war er schon tot, denn lange bevor der Körper gänzlich verbrennt, stirbt man bereits an der Hitze, die einem das Herz zerspringen läßt, und an dem Rauch, der einem die Lungen füllt.
Dann brannte der Scheiterhaufen vollständig nieder wie eine Fackel, und es war ein großes Wetterleuchten am Himmel, und wäre nicht der verkohlte Körper gewesen, den man noch zwischen den glühenden Balken gewahrte, ich hätte gemeint, vor dem brennenden Dornbusch zu stehen. Und so nahe war ich dem Feuer, daß mich eine Vision überkam und mir unwillkürlich einige Worte auf die Lippen sprangen (die nun wiederkehrten, als ich die Treppe zur Bibliothek erklomm), Worte über das Entrücktsein in der Ekstase, die ich einst gelesen in einem Buche der heiligen Hildegard: »Die Flamme brennt in glänzendem Lichte, in purpurner Kraft und in feuriger Glut; durch das glänzende Licht aber leuchtet sie, durch die purpurne Kraft aber flammt sie, durch die feurige Glut aber wärmet sie.«
Ubertins Worte über die Liebe kamen mir in den Sinn. Vor das Bild des flammenumlohten Michele schob sich das Bild des Ketzers Dolcino, und vor das Bild des Ketzers Dolcino schob sich das Bild der schönen Margaretha. Und wieder stieg heiß jene seltsame Unruhe in mir auf, die mich bereits bei Ubertin in der Kirche erfaßt hatte.
Ich versuchte, nicht daran zu denken, und nahm entschlossen die letzten Stufen zum Labyrinth.
Es war das erste Mal, daß ich es allein betrat, und die langen Schatten, die meine flackernde Lampe auf die Wände warf, erschreckten mich wie die Visionen der vorigen Nacht. An jeder Ecke fürchtete ich, wieder vor einem Spiegel zu stehen – denn dies eben ist die magische Kraft der Spiegel, daß sie dir, auch wenn du weißt, daß es lediglich Spiegel sind, trotzdem weiterhin Angst machen.
Andererseits versuchte ich auch gar nicht erst, mich irgendwie zu orientieren, noch den Raum mit den Visionen erzeugenden Düften zu vermeiden, sondern eilte wie ein Fiebernder durch die Räume, ohne zu wissen, was ich eigentlich finden wollte. Glücklicherweise führte mein Weg mich nicht allzuweit vom Ausgangspunkt fort, denn nach kurzem Herumirren fand ich mich unversehens wieder in jenem siebeneckigen Raum, in den die Treppe mündete. Auf dem Tisch lagen einige Bücher, die ich am Vorabend hier noch nicht gesehen zu haben glaubte. Vermutlich Werke, die Malachias im Laufe des Tages aus dem Skriptorium heraufgebracht, aber noch nicht an ihren Platz zurückgestellt hatte. Ich fragte mich, ob ich weit von dem Raum mit den schweren Düften entfernt war, denn ich fühlte mich ganz benommen, vielleicht weil einige Schwaden bis hierher drangen, vielleicht aber auch infolge der wirren Bilder, die mir eben erst durch den Kopf gegangen waren. Ich beugte mich über den Tisch und schlug einen reichbemalten Folianten auf, der mir aufgrund seiner Machart aus den Klöstern des Ultima Thule zu stammen schien.
Sofort fesselte mich auf einer Seite, auf welcher das Evangelium des Apostels Markus begann, das Bild eines Löwen. Es war ohne Zweifel ein Löwe, auch wenn ich noch niemals einen in Fleisch und Bein gesehen, und der Maler hatte seine furchterregenden Züge getreulich wiedergegeben, vielleicht inspiriert vom Anblick der Löwen in Hibernia, einem Land voller wilder Geschöpfe. So sah ich mit eigenen Augen, daß dieses Tier – ganz wie es uns der Physiologus lehrt – alle Merkmale der entsetzlichsten und der majestätischsten Wesen gleichzeitig in sich vereint. Dergestalt, daß sein Anblick sowohl das Bild des dämonischen Feindes wie das Unseres Herrn und Erlösers in mir hervorrief und ich nicht wußte,
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