Der Name der Rose
die sich hier so ungeniert im Dunkeln herumtreiben, auch sonst noch so manches wissen, was sie nicht sagen.«
»Aber werden sie es uns sagen?«
»Nicht wenn wir Nachsicht üben und ihre Sünden ignorieren. Aber wenn wir wirklich etwas von ihnen erfahren wollten, hätten wir jetzt ein Mittel in der Hand, das sie zum Sprechen bringen könnte. Mit anderen Worten, wir werden uns, sobald es nötig wird, den Cellerar und Salvatore gefügig machen, und Gott wird uns diese kleine Pflichtverletzung vergeben, wo er doch schon soviel anderes vergibt …«, schloß William mit einem anzüglichen Blick, der mich nicht gerade ermunterte, Bemerkungen über die Erlaubtheit seines Vorhabens zu machen.
»Und jetzt sollten wir eigentlich rasch zu Bett gehen, denn in einer Stunde ist bereits Mette. Aber wie ich sehe, bist du immer noch sehr erregt, mein armer Adson. Plagt dich deine Sünde noch immer? Wohlan, nichts ist beruhigender als ein stilles Gebet in der Kirche. Ich habe dir Absolution erteilt, aber man weiß ja nie. Also geh und bitte den Herrn um eine Bestätigung«, sagte William und gab mir einen kräftigen Klaps auf den Nacken, vielleicht als sanfte Buße, vielleicht aus väterlichfreundschaftlicher Zuneigung, vielleicht aber auch (wie ich in diesem Augenblick ungehörigerweise dachte) aus einem gewissen gutmütigen Neid, kannte ich ihn doch als einen Mann, der stets begierig war auf neue und lebensvolle Erfahrungen.
Wir begaben uns in die Kirche durch unseren gewohnten unterirdischen Gang, den ich diesmal ohne aufzublicken durcheilte, da mich die vielen Gebeine in dieser Nacht allzu deutlich daran gemahnten, wie bald auch ich zu Staub zerfallen sein würde und wie eitel daher mein Stolz auf die Wohlgestalt meines Leibes gewesen war.
Als wir in die Kirche traten, erblickten wir einen Schatten vor dem Altar. Zuerst dachte ich, es sei Ubertin, doch es war der uralte Alinardus, der uns nicht gleich erkannte. Dann erklärte er uns, er habe nicht schlafen können und sei daher in die Kirche gegangen, um für den verschwundenen jungen Bruder zu beten (er wußte nicht einmal mehr den Namen). Er bete für seine Seele, falls er tot sei, und für seinen Leib, falls er irgendwo hilflos liege.
»Zu viele Tote«, sagte der Greis, »zu viele Tote … Aber so steht es geschrieben im Buch des Apostels: Bei der ersten Posaune kommt Hagel und Eis, bei der zweiten wird ein Dritteil des Meeres zu Blut – und habt ihr den ersten nicht im Eis gefunden und den zweiten im Blut? Bei der dritten Posaune fällt ein brennender Stern vom Himmel und stürzt in den Dritteil der Flüsse und Brunnen. Und dort, so sage ich euch, liegt unser dritter Bruder. Und zittert vor der vierten Posaune, denn es wird geschlagen sein der dritte Teil des Sonne, des Mondes und aller Sterne, so daß es fast vollkommen dunkel wird …«
Als wir die Kirche verließen, murmelte William nachdenklich, er frage sich, ob an den Worten des Alten nicht etwas Wahres sei.
»Aber dann müßte doch«, gab ich zu bedenken, »ein einziges teuflisches Hirn die drei Morde (vorausgesetzt, daß auch Berengar tot ist) geplant und anhand des Textes der Apokalypse arrangiert haben. Dabei wissen wir doch, daß Adelmus aus eigenem Antrieb gestorben ist …«
»Das stimmt«, nickte William, »aber vielleicht hat sich dieses teuflische oder kranke Hirn durch den Freitod des armen Adelmus dazu anregen lassen, die beiden anderen derart symbolisch zu arrangieren. Und wenn das wahr ist, müßte Berengar in einem Fluß oder Brunnen liegen. Aber es gibt keine Flüsse oder Brunnen hier in der Abtei, jedenfalls keine, in denen jemand ertrinken oder ertränkt werden könnte …«
»Nein, Wasser gibt es hier nur im Badehaus«, nickte ich.
»Adson!« fuhr William auf. »Weißt du, was du da sagst? Ja, das könnte eine Idee sein. Das Badehaus!«
»Aber da hat man doch sicher schon nachgeschaut …«
»Freilich, aber ich habe heute morgen gesehen, wie die Knechte dort suchten: Sie machten nur kurz die Tür auf und schauten hinein, sie suchten nicht richtig, denn sie glaubten noch nicht, etwas gut Verstecktes finden zu müssen; sie erwarteten eine theatralisch drapierte Leiche wie die des Venantius im Bottich … Rasch, laß uns hinübergehen, es ist zwar noch dunkel, aber ich glaube, unsere Lampe brennt noch ganz munter.« Wir taten es, eilten ins Badehaus hinter dem Hospital und öffneten ohne Schwierigkeiten die Tür. Vor uns standen, aufgereiht und durch breite Vorhänge voneinander getrennt,
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