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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Adson, du hast ein viel zu großes Vertrauen in die Syllogistik! Wir haben nur wieder die Frage. Will sagen, wir haben die Hypothese aufgestellt, daß Venantius und Berengar ein und dieselbe Substanz berührt haben müssen, und das ist zweifellos eine vernünftige Hypothese. Aber mit unserer Annahme, daß es eine Substanz gibt, die als einzige unter allen Substanzen dieses spezielle Ergebnis bewirkt (was noch zu verifizieren bleibt), wissen wir immer noch nicht, welche Substanz das ist und wo und warum die beiden sie berührt haben. Und aufgepaßt: wir wissen nicht einmal, ob sie den Tod der beiden verursacht hat. Stell dir vor, ein Verrückter hätte sich in den Kopf gesetzt, alle Menschen zu töten, die mit Goldpulver in Berührung gekommen sind. Würdest du dann wohl sagen, Goldpulver sei ein tödliches Gift?«
    Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Ich hatte bisher immer angenommen, die Logik sei eine universale Waffe, und jetzt mußte ich plötzlich erkennen, daß ihre Kraft und Gültigkeit davon abhängt, wie man sie einsetzt und gebraucht. Andererseits hatte mich das Zusammensein mit meinem Meister gelehrt (und sollte mich in den nächsten Tagen noch immer besser lehren), daß die Logik zu mancherlei Dingen nützlich sein kann, sofern man sie nur im rechten Moment beiseite läßt.
    Severin, der gewiß kein guter Logiker war, räsonierte indessen gemäß seiner eigenen Erfahrung: »Die Welt der Gifte ist vielgestaltig, so vielgestaltig wie die Geheimnisse der Natur«, sagte er und wies auf die zahlreichen Gläser, Flaschen und Schalen, die wohlgeordnet nebst einer Anzahl von Büchern auf den Wandregalen standen. »Wie ich neulich schon sagte, viele dieser Kräuter könnten, wenn man sie entsprechend mischt und dosiert, tödliche Salben oder Getränke ergeben. Hier zum Beispiel der gemeine Stechapfel, die Tollkirsche, der Schierling: sie können Müdigkeit oder Erregung hervorrufen oder auch beides zugleich. In vorsichtiger Dosierung sind sie treffliche Medikamente, im Übermaß werden sie tödlich.«
    »Aber keine dieser Substanzen würde Spuren auf den Fingern hinterlassen?«
    »Keine, soviel ich weiß. Manche Substanzen werden auch nur gefährlich, wenn man sie einnimmt, andere wirken direkt auf die Haut ein. Der weiße Nieswurz zum Beispiel kann Übelkeit hervorrufen, wenn man ihn packt, um ihn aus dem Boden zu ziehen. Es gibt den Diptam und den Eschenwurz, deren Blütenduft die Gärtner in einen Rausch versetzt wie übermäßiger Weingenuß. Der schwarze Nieswurz ruft schon bei leichter Berührung Durchfall hervor. Andere Pflanzen verursachen Herzklopfen oder Kopfweh, wieder andere rauben einem die Stimme. Das Viperngift dagegen bewirkt, wenn es lediglich auf die Haut gelangt, ohne ins Blut einzudringen, nur ein leichtes Jucken. Einmal ist mir allerdings eine Mischung gezeigt worden, die, wenn man sie einem Hund auf die Innenseite der Schenkel nahe den Genitalien streicht, das Tier binnen kurzem verenden läßt, und zwar in gräßlichen Krämpfen, bei denen die Glieder allmählich erstarren …«
    »Du weißt viel über Gifte«, sagte William mit einem bewundernden Unterton in der Stimme. Severin sah ihn an und hielt seinem Blick stand. »Ich weiß«, sagte er schließlich kühl, »was ein Medikus und Botanikus, ein Diener der menschlichen Heilkunde wissen muß.«
    William verharrte eine Weile in nachdenklichem Schweigen. Dann bat er Severin, den Mund des Toten zu öffnen und die Zunge zu untersuchen. Neugierig nahm der Botanikus einen feinen Spatel, eines seiner ärztlichen Instrumente, und tat, wie ihm geheißen. Kurz darauf rief er verblüfft: »Die Zunge ist schwarz!«
    »So ist das also«, murmelte William. »Er hat etwas mit den Fingern ergriffen und verschluckt … Damit entfallen all jene eben genannten Gifte, die schon durch Berührung der Haut zu töten vermögen. Was unsere Aufgabe allerdings nicht erleichtert, denn wir müssen nun – bei ihm wie auch bei Venantius – einen freiwilligen Akt in Erwägung ziehen, eine absichtliche, nicht zufällige, nicht durch ein Versehen oder durch fremde Gewalt verursachte Handlung: Beide haben etwas genommen und sich in den Mund eingeführt, wobei sie sich ihres Tuns bewußt waren …«
    »Aber was? Eine Speise? Ein Getränk?«
    »Möglich. Oder auch … was weiß ich, ein Musikinstrument, vielleicht eine Flöte?«
    »Absurd!«
    »Sicher ist das absurd, aber wir dürfen keine Hypothese außer acht lassen, so ausgefallen sie auch sein mag. Kommen wir nochmal

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