Der Name der Rose
toten Innereien, durchzogen von bläulichen Adern, ein riesiges Herz.
Dunkle Schleier sanken mir über die Augen, bitterer Speichel schoß mir in den Mund. Ich stieß einen Schrei aus und fiel wie ein Toter zu Boden.
NACHT
Worin Adson voller Zerknirschung vor William beichtet und über die Funktion des Weibes im Schöpfungsplan nachdenkt, dann aber die Leiche eines Mannes entdeckt.
Ich erwachte aus meiner Ohnmacht, als mir jemand mit einem nassen Lappen übers Gesicht fuhr. Es war William. Er hielt eine Lampe in der Hand und hatte mir etwas unter den Kopf geschoben.
»Was ist los, Adson?« fragte er. »Wieso schleichst du dich nachts in die Küche und stiehlst Innereren?«
Um es kurz zu sagen: Er war aufgewacht, hatte aus irgendeinem Grunde nach mir gesucht und, als er mich nicht finden konnte, gleich richtig vermutet, daß ich zu einem Alleingang in die Bibliothek aufgebrochen war. Als er das Aedificium durch die Küche betrat, hatte er eine Gestalt durch die Tür in den Garten entfliehen sehen (es war das Mädchen, vielleicht hatte sie ihn kommen gehört), war rasch hinterhergelaufen, doch sie hatte sich zur Umfassungsmauer geflüchtet und war plötzlich verschwunden. Nach kurzer Erkundung der Örtlichkeiten war er in die Küche zurückgekehrt und hatte mich bewußtlos gefunden.
Ich deutete, immer noch zitternd vor Schreck, auf das Bündel mit dem riesigen Herzen und stammelte etwas von einem neuen Mord. Da lachte er schallend und sagte: »Aber Adson! Welcher Mensch sollte denn wohl ein so großes Herz haben? Das ist ein Rinderherz! Hast du nicht gesehen, daß heute morgen ein Ochse geschlachtet wurde? Sag lieber, wie kommt das in deine Hände?«
An diesem Punkt war es mit meiner Fassung vorbei. Zermalmt von Gewissensbissen und geschüttelt von sinnloser Angst, brach ich in hemmungsloses, heftiges Schluchzen aus und bat meinen Meister, er möge mir das Sakrament der Beichte gewähren. Er willigte ein, und ich erzählte ihm alles, ohne irgend etwas zu verhehlen.
Bruder William hörte mir aufmerksam zu, mit großem Ernst, aber nicht ohne einen Anflug von Nachsicht. Als ich fertig war, machte er ein strenges Gesicht und sprach: »Adson, du hast gesündigt, gegen das Keuschheitsgebot wie gegen deine Novizenpflichten, daran besteht kein Zweifel. Zu deiner Entlastung spricht, daß du dich in einer Situation befandest, in der selbst ein Säulenheiliger in der Wüste gesündigt hätte. Und vom Weib als Stachel und Keim der Versuchung spricht ja bereits die Heilige Schrift zur Genüge. Der Prediger Salomo sagt vom Weibe, ihr Reden sei wie brennendes Feuer, und in den Sprüchen heißt es, sie bemächtige sich der edlen Seele des Mannes, sie habe schon viele zu Fall gebracht, und selbst die Stärksten seien von ihr vernichtet worden. Auch predigt der Ekklesiast: Ich fand, daß bitterer sei denn der Tod das Weib, das wie die Schlinge des Jägers ist, dessen Herz ein Netz und dessen Hände Stricke sind. Andere nannten sie gar ein Vehikel des Satans. Dies klärend vorausgeschickt, kann ich mir freilich nicht vorstellen, lieber Adson, daß Gott ein so ruchloses Wesen in seine Schöpfung eingeführt haben sollte, ohne ihm nicht auch ein paar Tugenden mitzugeben. Und ich kann nicht umhin, über die Tatsache nachzudenken, daß er ihm zahlreiche Privilegien und Vorzüge eingeräumt hat, von denen ich nur die drei größten hier nennen will. Erstens schuf er bekanntlich den Mann in dieser niederen Welt und aus einem Erdenkloß, das Weib aber in einem zweiten Schöpfungsakt unmittelbar im Paradies und aus edlem menschlichen Stoff. Und er schuf sie nicht etwa aus den Füßen oder den Eingeweiden Adams, sondern aus seiner Rippe. Zweitens hätte sich der Allmächtige sicherlich auch direkt in einem Manne verkörpern können, doch er zog es vor, im Bauch einer Frau zu wohnen, ein Zeichen dafür, daß sie nicht so ruchlos gewesen sein konnte. Und als er sich zeigte nach seiner Auferstehung, zeigte er sich einer Frau. Drittens schließlich wird in den Gefilden des Himmels kein Mann als König herrschen, sondern vielmehr als Königin eine Frau, die niemals gesündigt hat. Wenn also schon Unser Himmlischer Vater so große Aufmerksamkeit für Eva und ihre Töchter hatte, ist es dann so abnorm, daß auch wir uns angezogen fühlen von ihrer Anmut und edlen Schönheit? Was ich damit sagen will, lieber Adson: Gewiß darfst du das nie wieder tun, aber so ungeheuerlich ist dein Fehltritt nun auch wieder nicht. Und außerdem, daß ein Mönch
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