Der Name der Rose
und Seelsorger wenigstens einmal in seinem Leben die fleischliche Leidenschaft selber erfährt, so daß er später nachsichtig und verständnisvoll mit den armen Sündern umgehen kann, denen er Trost und Rat spenden soll …, nun ja, lieber Adson, man soll das nicht geradezu herbeiführen, bevor es geschieht, aber wenn es denn einmal geschehen ist, soll man es auch nicht allzusehr geißeln. Also geh mit Gott, mein Sohn, und reden wir nicht mehr davon. Fragen wir uns lieber, um nicht allzulang nachzusinnen über etwas, das man besser vergißt, sofern man das kann …« – und bei diesen Worten schien mir Williams Stimme ein wenig zu schwanken wie von einer inneren Rührung – »was die Ereignisse dieser Nacht zu bedeuten haben: Wer war das Mädchen und mit wem hatte sie ein Stelldichein?«
»Das eben weiß ich nicht, ich habe den Mann nicht erkennen können, der bei ihr war.«
»Nun gut, aber wir können aus einer Reihe sehr zuverlässiger Indizien schließen, wer es war. Zunächst und vor allem muß er alt und häßlich gewesen sein, ein Mann, mit dem sich ein junges Mädchen nicht gern einläßt, zumal wenn es ein schönes Mädchen ist, wie du gesagt hast – obwohl mir scheint, mein junger Springinsfeld, daß du in deinem Durst ein wenig geneigt warst, jede Quelle köstlich zu finden …«
»Warum muß er alt und häßlich gewesen sein?«
»Weil das Mädchen nicht aus Liebe zu ihm ging, sondern für eine Portion Schlachtabfälle. Es war sicher ein Mädchen aus dem Dorf, das sich – vielleicht nicht zum erstenmal – einem lüsternen Mönch aus Not hingeben wollte, um dafür etwas zu ergattern, womit es sich und seiner Familie die hungrigen Mäuler stopfen kann.«
»Eine Hure?!« rief ich entsetzt.
»Ein armes Bauernmädchen, lieber Adson. Vielleicht hat sie zu Hause eine Schar kleiner Brüder, die sie ernähren muß. Und wenn sie könnte, würde sie sich aus Liebe hingeben und nicht für Lohn. Wie sie es zum Beispiel vorhin getan hat. Du hast mir erzählt, daß sie dich jung und schön fand, und sie gab dir gratis und für deine Liebe, was sie einem anderen für ein Rinderherz und ein paar Lungenfetzen geben wollte. Und nach dieser freiwilligen Hingabe ihrer selbst fühlte sie sich so erhoben und tugendhaft, daß sie floh, ohne das Bündel oder sonst etwas mitzunehmen. Begreifst du nun, warum ich meine, daß der andere, mit dem sie dich verglichen hat, weder jung noch schön sein kann?«
Ich gestehe, daß mich diese Erklärung, wiewohl meine Reue immer noch heftig war, erneut mit zärtlichem Stolz erfüllte. Doch ich schwieg und ließ meinen Meister fortfahren.
»Ferner muß es diesem häßlichen Alten möglich gewesen sein, ins Dorf hinunterzugehen und mit den Bauern Kontakte zu unterhalten aus Gründen, die mit seinem Amt zu tun haben. Und er mußte wissen, wie man Fremde heimlich in die Abtei herein- und wieder hinausschleusen kann. Und er muß auch gewußt haben, daß es gerade heute Schlachtabfälle in der Küche gab (vielleicht wollte er morgen sagen, die Tür sei versehentlich offengeblieben und ein Hund habe sie gestohlen). Und schließlich muß er einen gewissen Sinn für sparsames Wirtschaften haben, ein Interesse daran, daß der Küche nicht allzu kostbare Lebensmittel entzogen werden, andernfalls hätte er wohl ein gutes Lendenstück oder dergleichen herausgerückt. Du siehst, lieber Adson, die Figur unseres Unbekannten gewinnt allmählich recht klare Konturen, denn all diese Eigenschaften und Attribute passen hervorragend auf ein Wesen, in dem ich nicht zögern würde, unseren wackeren Cellerar zu erkennen, Bruder Remigius von Varagine. Oder aber, falls ich mich täuschen sollte, unseren undurchsichtigen Freund Salvatore. Der übrigens, da er aus dieser Gegend stammt, vermutlich sehr gut mit den Bauern reden kann und sicher weiß, wie man ein Mädchen dazu bringt zu tun, was sie tun wollte, wenn du nicht dazwischengekommen wärst.«
»Ja, Ihr habt gewiß recht, so wird es gewesen sein«, sagte ich überzeugt. »Aber was können wir nun mit unserem Wissen anfangen?«
»Nichts. Oder sehr viel. Die Geschichte kann mit den Verbrechen, die wir untersuchen, viel oder auch nichts zu tun haben. Andererseits, wenn der Cellerar bei den Dolcinianern gewesen ist, erklärt das sehr gut sein Verhalten, und umgekehrt. Doch in jedem Falle wissen wir jetzt, daß diese Abtei bei Nacht ein Ort ist, an welchem so mancherlei seltsame Dinge geschehen – und wer weiß, ob nicht unser Cellerar und sein Gehilfe,
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