Der Name der Rose
große Wannen, ich weiß nicht mehr, wie viele. Die Mönchen benutzten sie zur Hygiene an den Tagen, da die Regel es vorschrieb, und Severin benutzte sie zu therapeutischen Zwecken, denn nichts ist beruhigender für den Leib und die Seele als ein Bad. In einer Ecke befand sich ein breiter Kamin, der das Wasser rasch zu erwärmen erlaubte, davor lag ein großer Kessel. Das Wasser holte man aus einem Brunnen in der anderen Ecke.
Wir sahen der Reihe nach in die Wannen. Sie waren fast alle leer. Nur die letzte hinter einem zugezogenen Vorhang war voll, und daneben lag ein zusammengeknülltes Kleidungsstück auf dem Boden. Im ersten Moment erschien uns die Oberfläche des Wassers ungetrübt. Doch als wir die Lampe näher hinhielten, entdeckten wir auf dem Grunde der Wanne einen nackten menschlichen Körper. Wir zogen ihn heraus. Es war Berengar. Und dieser Tote, bemerkte William, sah wirklich wie ein Ertrunkener aus: das Gesicht aufgedunsen, der weiße und weiche Körper desgleichen. Er hätte, haarlos wie er war, der Körper einer Frau sein können, wenn man von dem obszönen Anblick der schlaffen männlichen Scham absah. Ich errötete, es überlief mich kalt, und ich bekreuzigte mich, während William den Toten segnete.
LAUDES
Worin die Untersuchung der Wasserleiche den sonderbaren Befund einer schwarzen Zunge ergibt, was William dazu veranlaßt, mit Severin ein Gespräch über tödliche Gifte zuführen sowie über einen Diebstahl vor langer Zeit.
Muß ich erzählen, wie wir den Abt informierten, wie die Mönche vor der kanonischen Stunde aus dem Schlaf fuhren und verstört durcheinanderliefen, auf den Lippen entsetzte Schreie, die Blicke verzerrt vor Schrecken und Schmerz? Wie die Nachricht von unserem grausigen Fund sich in Windeseile über das ganze Plateau verbreitete bis zu den Dienern und Stallknechten, die sich hastig bekreuzigten unter allerlei Stoßgebeten? Ich weiß nicht, ob die Mette an jenem Morgen ordnungsgemäß zelebriert wurde, wie es die Regel gebot. Ich folgte William und Severin, die Berengars sterbliche Hülle bedecken und im Hospital auf einen langen Tisch legen ließen. Sobald der Abt und die anderen Mönche gegangen waren, zogen der Bruder Botanikus und mein Meister das Tuch von der Leiche und musterten sie ausgiebig mit der Nüchternheit erfahrener Mediziner.
»Tod durch Ertrinken«, stellte Severin fest, »daran besteht kein Zweifel: das Gesicht aufgedunsen, der Leib gebläht …«
»Ja, aber nicht infolge gewaltsamer Fremdeinwirkung«, sagte William, »sonst hätte Berengar sich gewehrt und wir hätten die Spuren von Wasserspritzern rings um die Wanne gefunden. Es war aber alles ganz sauber und ordentlich, als hätte Berengar sich aus freien Stücken ein Bad bereitet und friedlich hineingelegt.«
»Das würde mich nicht überraschen«, meinte Severin. »Er litt an sporadischen Krämpfen, ich selber hatte ihm wiederholt gesagt, daß warme Bäder ein gutes Mittel sind, um Körper und Geist zu beruhigen, und er hatte in letzter Zeit mehr als einmal mit meiner Erlaubnis das Badehaus aufgesucht. So mag er es auch heute nacht getan haben …«
»Gestern nacht«, korrigierte William, »denn wie du siehst, hat diese Leiche schon mindestens einen Tag lang im Wasser gelegen.«
»Mag sein, daß es auch schon gestern nacht war«, gab Severin zu, worauf ihn William in groben Zügen, unter Auslassung mancher Begleitumstände, über die Ereignisse der vorigen Nacht ins Bild setzte – recht oberflächlich, um die Wahrheit zu sagen: Er unterschlug unseren Aufenthalt im Skriptorium und berichtete lediglich, daß wir einer geheimnisvollen Gestalt gefolgt waren, die ein Buch entwendet hatte. Severin merkte, daß William ihm einen Teil der Wahrheit verschwieg, fragte aber nicht weiter, sondern nickte und meinte, dann sei es gut möglich, daß Berengar – falls er die geheimnisvolle Gestalt war – in seiner Erregung das Bedürfnis nach der wohltuenden Ruhe eines Bades verspürt hätte. Er sei nämlich äußerst empfindsam gewesen, schon kleine Widrigkeiten oder Gefühlsregungen hätten ihn manchmal so heftig erzittern lassen, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach und er die Augen verdrehte und in schlimmen Fällen sogar zu Boden stürzte mit Schaum vor dem Munde.
»In jedem Falle«, sagte William, »muß er zuerst noch woanders gewesen sein, bevor er ins Badehaus ging, denn das Buch, das er gestohlen hatte, war nicht mehr da.«
»Ja«, fiel ich eifrig ein, »ich habe die Kleider neben der Wanne genau
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