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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Feuersbrünsten, Plünderungen und Erdbeben, Brutstätte einer neuen Schrift und Pflegestätte der alten … Oh, Ihr wißt, wir leben in finsteren Zeiten, und erst vor wenigen Jahren – es treibt mir die Zornes- und Schamröte ins Gesicht, wenn ich daran denke – sah sich das Konzil zu Vienne veranlaßt, ausdrücklich zu betonen, daß jeder Mönch verpflichtet ist, sich an die Gebote zu halten! Ora et labora …, doch wie viele unserer Abteien, die noch vor zweihundert Jahren blühende Zentren der Größe und Heiligkeit waren, sind heute Zufluchtsstätten für Faulpelze! Mächtig ist der Orden noch immer, doch der Gestank der Städte kreist unsere heiligen Stätten mehr und mehr ein, das Volk Gottes ist heute dem Handel zugetan und den Händeln und Fehden zwischen Parteien, Klüngeln und Cliquen. Drunten in den dicht besiedelten Ebenen, wo der Geist der Heiligkeit keine Herberge findet, spricht man nicht nur die Volkssprache (von Laien kann man schließlich nichts anderes erwarten), sondern man schreibt sie bereits! Möge nie eins dieser Bücher in unsere Mauern gelangen, würde es doch zwangsläufig zu einem Herd und Nährboden der Häresie! Die Sünden der Menschen haben die Welt an den Rand des Abgrunds getrieben, schon ist die Welt durchdrungen vom Abgründigen, das aus dem Abgrund hervorsteigt. Und wie Honorius sagte, werden morgen die Körper der Menschen kleiner sein als es heute die unseren sind, so wie heute die unseren kleiner sind als es einst die der Alten waren. Mundus senescit , die Welt vergreist! Wenn Gott unserem Orden noch einen Auftrag gegeben, so ist es heute der, sich dieser Fahrt in den Abgrund entgegenzustemmen, den Schatz des Wissens, den unsere Väter uns anvertraut haben, zu wahren, zu hüten und zu verteidigen. Die göttliche Vorsehung hat gewollt, daß die Weltregierung, die ursprünglich im Osten saß, sich mit dem Herannahen der Zeit immer mehr gen Westen verlagert hat, um uns darzutun, daß sich die Welt ihrem Ende nähert, hat doch der Lauf der Dinge bereits die Grenzen des Universums erreicht. Doch bis das Jahrtausend endgültig zerfällt und jene bestia immunda , die wir Antichrist nennen, zum vollen, wenn auch nur kurzen Triumph gelangt, ist es unsere Aufgabe und Mission, den Schatz der christlichen Welt zu wahren und das Wort Gottes zu hüten, wie er es den Propheten und Aposteln offenbarte, wie es die Väter getreu wiederholten, ohne ein Jota zu ändern, und wie es in den Schulen ausgelegt wurde – mag sich heute auch in den Schulen die Schlange der Hoffart, des Neides und der Unvernunft einnisten. Noch sind wir in dieser Abenddämmerung Flamme und hohes Leuchtzeichen am Horizont. Und solange diese Mauern stehen, werden wir Wahrer und Wächter bleiben des göttlichen Wortes.«
    »Wohlan, so sei es«, nickte William andächtig. »Aber was hat das alles damit zu tun, daß man die Bibliothek nicht besichtigen darf?«
    »Seht, Bruder William«, erklärte der Abt, »um das große und heilige Werk zu verrichten, das diese Mauern krönt«, und bei diesen Worten wies er durch das Fenster auf den massigen Bau des Aedificiums, dessen Türme sogar die Abteikirche überragten, »haben gottesfürchtige Männer jahrhundertelang arbeiten müssen, und während der ganzen Zeit haben sie eherne Regeln befolgt. Die Bibliothek ist nach einem Plan entstanden, der allen Beteiligten dunkel geblieben ist in all den Jahrhunderten, keiner der Mönche war und ist je befugt, ihn zu kennen. Allein der Bruder Bibliothekar weiß um das Geheimnis, er hat es von seinem Vorgänger erfahren und gibt es vor seinem Tode weiter an seinen Adlatus, damit, falls ein plötzlicher Tod ihn heimsucht, die Bruderschaft nicht dieses kostbaren Wissens beraubt wird. Doch beider Lippen sind durch das Geheimnis versiegelt. Allein der Bibliothekar hat das Recht, sich im Labyrinth der Bücher zu bewegen, er allein weiß, wo die einzelnen Bände zu finden sind und wohin sie nach Gebrauch wieder eingestellt werden müssen, er allein ist verantwortlich für ihre sachgemäße Erhaltung. Die anderen Mönche arbeiten im Skriptorium und haben nur Einsicht in das Verzeichnis der Bücher. Aber ein Verzeichnis besagt oft wenig, und allein der Bibliothekar kann aus der Signatur eines Buches und aus dem Grad seiner Unzugänglichkeit ersehen, welche Art von Geheimnis, von Wahrheit oder von Lüge es enthält. Er allein entscheidet, zuweilen nach Rücksprache mit mir, ob, wann und wie es dem Mönche, der es bestellt hat, auszuhändigen ist.

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