Der Name der Rose
denken und sie überall sehen, in den Schafen wie in den Rindern, in den Zweigen der Bäume wie in dem heiteren Licht, das die Abtei an jenem Morgen erfüllte.
Heute weiß ich, daß der Grund der Liebe das Gute ist, und da sich das Gute durch Erkenntnis definiert, kann man nur lieben, was man als gut erkannt hat – während ich das Mädchen zwar als gut für den appetitus irascibilis erkannt hatte, aber als schlecht für den Willen. Doch daß ich damals so heftig zwischen derart widersprüchlichen Seelenregungen schwankte, mag auch darum gewesen sein, weil das, was ich empfand, so sehr jener heiligen Liebe glich, die von den Doctores beschrieben wird: Es versetzte mich in die Ekstase, in welcher der Liebende und das geliebte Wesen dasselbe wollen (und dank einer mysteriösen Erleuchtung wußte ich plötzlich, daß meine Geliebte in diesem Moment dasselbe wollte wie ich), und ich empfand sogar Eifersucht, aber nicht jene üble, die Paulus im ersten Brief an die Korinther verdammt, weil sie das principium contentionis 78 ist und keinen consortium in amato 79 duldet, sondern vielmehr jene, von welcher Dionysius Aeropagita in den Namen Gottes spricht, wo er sagt, daß selbst Gott eifersüchtig genannt wird propter multum amorem quem habet ad existentia 80 (und ich liebte das Mädchen einfach aufgrund ihrer Existenz, ich war froh und nicht neidisch, daß sie existierte). Ich war eifersüchtig in jener Weise, in welcher dem Aquinaten zufolge die Eifersucht ein motus in amatum 81 ist, ein Eifern der amicitia , das den Liebenden dazu treibt, sich gegen alles zu wenden, was dem geliebten Wesen schaden könnte (und ich träumte in diesem Moment nichts anderes, als das Mädchen aus der Gewalt jenes Ruchlosen zu befreien, der ihren Leib kaufte und mit seinen niederen Leidenschaften befleckte).
Heute weiß ich, daß die Liebe, wie der Doctor Angelicus sagt, auch dem Liebenden selbst schaden kann, wenn sie exzessiv ist. Und meine Liebe war exzessiv. Ich versuche hier nur zu erklären, was ich damals empfand, und ich will es keineswegs rechtfertigen. Ich spreche von der sündhaften Inbrunst meiner Jugend. Sie war zweifellos ungut, doch die Liebe zur Wahrheit zwingt mich zu sagen, daß ich sie damals als überaus gut empfand. Möge dies jedem zur Lehre gereichen, der sich künftig in den Fallstricken der Versuchung verfängt! Heute, als Greis, wüßte ich tausend Wege, solchen Fallstricken zu entgehen (und ich frage mich, ob ich stolz darauf sein darf, seit ich frei bin von den Verlockungen des Mittagsdämons, nicht aber frei von anderen Verlockungen – so daß ich mich nun wohl auch fragen muß, ob das, was ich hier tue, nicht ein ungutes Nachgeben gegenüber der irdischen Leidenschaft des Schwelgens in Jugenderinnerungen ist, ein törichter Versuch, dem Vergehen der Zeit zu entfliehen, und dem Tod …).
Damals rettete mich ein wunderbarer Instinkt. Das Mädchen erschien mir in der Natur und in den Werken von Menschenhand, die mich umgaben. Also versuchte ich, dank einer glücklichen Eingebung meiner Seele, mich in die verlängerte Kontemplation dieser Werke zu vertiefen: Ich sah den Rinderhirten zu, wie sie die Ochsen aus dem Stall führten, den Schweinehirten, wie sie das Futter für ihr Borstenvieh brachten, den Schäfern, wie sie ihren Hunden pfiffen, auf daß sie die Herde zusammenhielten, den Bauern, wie sie Emmer und Hirse in die Mühlen trugen und beladen mit Säcken voll guten Mehles herauskamen. Ich versenkte mich in die Kontemplation der Natur, ich versuchte, meine Gedanken zu vergessen und die Wesen nur so zu betrachten, wie sie erschienen, ich ließ mich freudig aufgehen in ihrem Anblick.
Wie schön war das Schauspiel der Natur, noch unberührt von der oft perversen Weisheit des Menschen!
Ich sah das Lamm, das seinen Namen erhielt wie zur Anerkennung seiner Unschuld und Reinheit. Denn der Name agnus kommt daher, daß dieses Tier agnoscit , es erkennt seine Mutter stets wieder, es erkennt sogar ihre Stimme im Geblöke der Herde, während die Mutter unfehlbar unter allen Lämmern von gleicher Gestalt und Stimme stets ihren Sprößling wiedererkennt und nährt. Ich sah das Schaf, ovis genannt ab oblatione , weil es seit frühesten Zeiten als Opfertier dient; das Schaf, das beim Nahen des Winters gemäß seiner Art begierig die Gräser frißt und sich den Leib füllt mit Nahrung, ehe die Weiden unter der Kälte verdorren. Und gehütet wurde die Herde von Hunden, canes genannt von canor wegen ihres Gebells. Der Hund,
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