Der Name der Rose
konstruiert hat, aber von diesem Syllogismus immer nur einzelne, meist recht unzusammenhängende Sätze erfaßt, weshalb wir Menschen so leicht den Täuschungen des Bösen anheimfallen. War es eine Täuschung des Bösen, was mich an jenem Morgen bewegte? Heute denke ich, daß es wohl eine war, schließlich war ich damals ja noch Novize. Aber ich denke auch, daß jenes menschliche Gefühl, das mich damals erfüllte, nicht an und für sich und als solches schlecht war, sondern nur in bezug auf meinen mönchischen Status. Denn an und für sich und als solches war es nichts anderes als das Gefühl, das den Mann zum Weibe treibt, auf daß die beiden sich miteinander vereinen, wie es der Apostel den Laien predigt, und sollen sein wie ein Fleisch und gemeinsam Nachkommen zeugen und einander beistehen bis ins Alter. Nur daß der Apostel dies lediglich denen predigt, die Heilung von ihrer Begehrlichkeit suchen und nicht in ihr verbrennen wollen, wobei er es nicht versäumt, daran zu erinnern, daß die Keuschheit – der ich als Mönch mich verschrieben – vorzuziehen ist. Mithin litt ich an jenem Morgen an etwas, das schlecht für mich war, aber für andere gut, ja geradezu schön und wunderbar, weshalb ich heute begreife, daß meine Verwirrung nicht aus der Falschheit meiner Gedanken rührte, da meine Gedanken als solche ja durchaus würdig und gut waren, sondern aus der Falschheit des Verhältnisses zwischen meinen Gedanken und meinem Gelübde. Und folglich tat ich Unrecht daran, mich eines Gefühls zu erfreuen, das unter anderen Bedingungen gut sein mochte, unter den meinen aber schlecht war, und mein Fehler bestand darin, daß ich die Gebote der anima rationalis mit dem appetitus naturalis zu versöhnen suchte. Jawohl, heute ist mir das klar, ich litt unter dem Gegensatz zwischen dem appetitus elicitus intellectivus , dem spontanen Verstandesstreben, in welchem das Reich des Willens sich hätte manifestieren müssen, und dem appetitus elicitus sensitivus , dem spontanen Sinnesdrang, der den menschlichen Leidenschaften ausgesetzt ist. Denn actus appetitus sensitivi, in quantum habent transmutationem corporalem annexam, passiones dicuntur, non autem actus voluntatis 74 , und mein actus appetitivus war eben genau von einem Erzittern des ganzen Körpers begleitet, von einem physischen Drange, laut aufzuschreien und mich zu rühren. Der Aquinate lehrt uns, daß die Leidenschaften als solche an und für sich nicht schlecht sind, so sie gemäßigt werden vom Willen unter Führung der anima rationalis . Doch an jenem Morgen war meine anima rationalis getrübt durch die Müdigkeit, die nur den appetitus irascibilis hemmt, den wilden Drang, der sich auf das Gute oder das Böse richtet als auf etwas, das es zu erobern gilt, nicht aber den appetitus concupiscibilis , den begehrlichen Drang, der sich auf das Gute oder das Böse richtet als auf etwas bereits Bekanntes. Zur Rechtfertigung meiner damaligen unverantwortlichen Leichtfertigkeit kann ich heute sagen, und zwar mit den Worten des Doctor Angelicus, daß ich unzweifelhaft verliebt war, also erfaßt von einer Leidenschaft, in welcher sich ein Gesetz des Kosmos ausdrückt, ist doch auch die Schwerkraft der Körper eine natürliche Liebe. Und natürlicherweise erlag ich dieser Leidenschaft, da in ihr appetitus tendit in appetibile realiter consequendum ut sit ibi finis motus 75 . Weshalb auch ganz natürlicherweise amor facit quod ipsae res quae amantur, amanti aliquo modo uniantur, et amor est magis cognitivus quam cognitio 76 . In der Tat sah ich das Mädchen jetzt klarer, als ich es in der Nacht zuvor gesehen, ja, ich erkannte sie intus et in cute 77 , da ich mich selbst erkannte in ihr und sie in mir. Heute frage ich mich, ob das, was ich damals empfand, die Liebe der amicitia war, in welcher der Gleiche den Gleichen liebt und nur sein Bestes will, oder ob es die Liebe der concupiscentia war, in welcher der Unvollständige sucht, was ihn vollständig macht, so daß es ihm nur um sein eigenes Wohl zu tun ist. Und ich glaube, daß es in jener Nacht die begehrliche Liebe gewesen war, als ich von dem Mädchen etwas gewollt hatte, was ich niemals zuvor besessen, während ich an jenem Morgen nichts mehr von ihr begehrte und nur ihr Bestes wollte, ja mir sehnlichst wünschte, daß sie glücklich sei und der grausamen Not enthoben, die sie zwang, sich hinzugeben für ein paar kärgliche Happen; auch wollte ich künftig nie wieder etwas von ihr verlangen, sondern nur immerfort an sie
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