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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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allen vier Tieren sagen, daß sie schrecklich anzusehen waren, denn schön und edel erschien mir jenes in Menschengestalt, das links von mir (also zur Rechten des Sitzenden) ein Buch in der Hand hielt. Aber erschaudern machte mich auf der anderen Seite ein Adler mit weitaufgerissenem Schnabel und mächtigen Klauen, die borstigen Federn als Schuppenpanzer gestaltet, die Schwingen wie zum Fluge gebreitet. Und zu Füßen des Sitzenden, unter den beiden ersten Tieren, sah ich einen Löwen und einen Stier, beide hielten ein Buch in ihren Pranken und Hufen, beide hatten den Körper abgewandt vom Throne, aber den Kopf zu ihm hin, als drehten sie gerade Schulter und Hals in wildem Ungestüm, die Flanken bebend, die tierischen Glieder zuckend, die Rachen geöffnet, die Schwänze gewunden wie Schlangen und endend in kleinen züngelnden Flammen. Beide waren geflügelt, beide gekrönt mit Heiligenscheinen, und waren trotz ihres furchtbaren Anblicks keine Geschöpfe der Hölle, sondern solche des Himmels, und wenn sie mir schrecklich erschienen, so weil sie brüllten in Anbetung dessen, der da kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.
    Rings um den Thron, um die vier Tiere und zu Füßen des Sitzenden, wie durchscheinend unter dem Wasser des gläsernen Meeres und fast den ganzen verbleibenden Raum der Vision erfüllend (angeordnet gemäß der triangulären Struktur des Tympanons in einer unteren Reihe von zwei mal sieben, darüber zu Seiten des Throns zwei mal drei und darüber wiederum zwei mal zwei), sah ich vierundzwanzig Greise auf vierundzwanzig kleinen Thronen sitzen, gekleidet in weiße Gewänder, und hatten auf ihren Häuptern goldene Kronen. In der Hand hielten sie bald ein Räuchergefäß, bald eine Laute; nur einer von ihnen spielte, doch alle blickten verzückt empor zu dem Sitzenden und sangen unaufhörlich sein Lob, die Glieder verdreht wie die der beiden unteren Tiere, aber nicht in tierischer Weise, sondern wie in ekstatischem Tanze – wie David um die Lade getanzt haben muß –, dergestalt daß, wo immer sie sich befinden mochten, ihre Blicke entgegen dem Gesetz, das die Haltung ihrer Körper beherrschte, in ein und demselben strahlenden Punkte zusammentrafen. Oh, welche Harmonie von Hingabe und Entrückung, von unnatürlichen und doch anmutigen Haltungen, in dieser mystischen Sprache der wie durch ein Wunder vom Gewicht ihrer Körperlichkeit befreiten Glieder, gestaltete Vielfalt, übergössen mit neuer Wesensform, als würde die heilige Heerschar getrieben von einem stürmischen Wind, von einem lebenspendenden Odem, rasende Freude, hallelujatischer Jubel, durch ein Wunder aus Klang zu Bild geworden!
    Körper und Glieder beseelt vom Geist, erleuchtet von der Offenbarung, Gesichter verzückt vor Staunen, Blicke verdreht vor Begeisterung, Wangen gerötet von Liebe, Pupillen geweitet von Glück, der eine getroffen von freudiger Überraschung, der andere von überraschender Freude, der eine entrückt in Bewunderung, der andere verjüngt durch die Lust – so sah ich die Greise singen, singen ein neues Lied, mit dem Ausdruck ihrer Gesichter, mit dem Faltenwurf ihrer Mäntel, mit der Beugung und Anspannung ihrer Glieder, die Lippen halboffen in einem Lächeln ewigen Lobens. Und zu Füßen der Greise und gewölbt über ihnen und über dem Sitzenden und den vier Tieren, angeordnet in symmetrischen Reihen und Bändern, kaum auseinanderzuhalten, so fein hatte die Weisheit der Kunst sie verflochten, gleichförmig in der Vielfalt und vielförmig in der Gleichheit, einig in der Verschiedenheit und verschieden in der Einigkeit, herrlich übereinstimmend in ihren Teilen, wunderbar abgestimmt in ihren Farben, Wunder der Harmonie und des Einklangs unterschiedlicher Stimmen, Eintracht nach Art von Harfensaiten, einstimmende und fortwährend aufs neue sich verbündende Vermählung und Verschwägerung kraft einer tiefen und inneren Fähigkeit, einhellig zusammenzuwirken im Wechselspiel auch und gerade der Zweideutigkeiten, Zierde und Sammlung bald irreduzibler, bald reduzierter Formen, Werk einer liebevollen Zusammenfügung, getragen von einer himmlischen wie zugleich irdischen Regel (Band und fester Verbund von Frieden, Liebe, Tugend, Herrschaft, Macht, Ordnung, Ursprung, Werden, Leben, Licht, Glanz, Gattung und Gestalt), mannigfaltige Gleichheit, widerscheinend im Aufschein der Formen über den wohlproportionierten Teilen der Materie – so sah ich einander sich verflechten die Blumen und Blätter und Ranken und

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