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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Jurisdiktion beansprucht, könne man wohl in dieser Distanz Unseres Herrn zu den weltlichen Dingen ein hinreichendes Indiz für die Annahme sehen, daß Jesus im gleichen Maße der Armut zugetan war.
    William hatte so ruhig gesprochen und seine Gewißheiten mit so vielen Ausdrücken des Vorbehalts und des Zweifels gespickt, daß niemand aufspringen konnte, um ihn zu widerlegen. Was freilich nicht heißt, daß alle von seinen Ausführungen überzeugt waren. Im Gegenteil, nicht nur die Avignoneser wirkten verstört und tuschelten aufgeregt miteinander, auch der Abt schien recht negativ von Williams Worten beeindruckt zu sein, er hatte sich wohl die Beziehungen zwischen seinem Orden und dem Reich ganz anders vorgestellt. Was die Minoriten betraf, so schauten Michael von Cesena verblüfft, der Bischof von Kaffa fassungslos und Ubertin recht nachdenklich drein …
    Die Stille wurde schließlich vom Kardinal unterbrochen, der, wie immer lächelnd, leutselig fragte, ob William nach Avignon zu gehen und diese Ansichten auch dem Herrn Papst vorzutragen gedenke. William fragte zurück, was der Herr Kardinal ihm rate, woraufhin dieser meinte, der Heilige Vater habe zwar schon viele fragwürdige Ansichten in seinem Leben gehört und sei stets sehr liebevoll zu seinen Kindern, aber diese Ansichten würden ihn sicherlich sehr bekümmern.
    Hier ließ Bernard Gui sich vernehmen, der bisher kein Wort gesagt hatte: »Ich wäre sehr froh, wenn Bruder William, der seine Gedanken so geschickt und eloquent darzulegen vermag, nach Avignon ginge, um sie dem Urteil des Heiligen Vaters zu unterbreiten …«
    »Ich danke Euch, Herr Inquisitor, Ihr habt mich überzeugt«, sagte William zufrieden. »Ich werde nicht gehen.« Und zum Kardinal gewandt im Ton der Entschuldigung: »Diese Reizung, wißt Ihr, die mich da an der Brust überfallen hat, läßt es mir nicht geraten erscheinen, in dieser Jahreszeit eine so lange Reise anzutreten.«
    »Warum habt Ihr dann so lange gesprochen?« wollte der Kardinal wissen.
    »Um die Wahrheit zu bezeugen«, sagte William bescheiden. »Die Wahrheit macht uns frei.«
    »Oh nein«, platzte in diesem Moment Jean de Baune los. »Hier handelt es sich nicht um die Wahrheit, die uns frei macht, sondern um die Freiheit, die sich wahrmachen will!«
    »Auch das ist möglich«, gab William sanftmütig zu.
    Ich hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, daß gleich ein neuer Sturm der Herzen und Zungen losbrechen würde, bedeutend heftiger noch als der erste. Doch nichts dergleichen geschah. Denn während Jean de Baune noch gesprochen hatte, war der Hauptmann der Bogenschützen in den Saal getreten und zu Bernard geeilt, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Nun erhob sich der Inquisitor und verlangte mit einer herrischen Handbewegung Gehör.
    »Verehrte Brüder«, sagte er, »vielleicht kann diese interessante Diskussion ein andermal fortgesetzt werden. Jetzt zwingt uns leider ein schwerwiegendes Ereignis, unsere Arbeit abzubrechen, mit gütiger Erlaubnis des Abtes. Möglicherweise habe ich ungewollt die Erwartungen des Herrn Abtes erfüllt, hoffte er doch den Schuldigen der Verbrechen zu finden, die in den letzten Tagen hier verübt worden sind. Nun, ich habe ihn! Leider gelang es mir nicht, ihn rechtzeitig zu fassen, auch diesmal … Draußen ist etwas geschehen …« Er brach ab, durchquerte mit raschen Schritten den Saal und eilte hinaus, gefolgt von vielen, an der Spitze von William und mir.
    Mein Meister sah mich düster an: »Ich fürchte, unserem Freund Severin ist etwas zugestoßen.«

SEXTA
    Worin man Severin in seinem Blute findet, nicht aber das Buch, das er gefunden hatte.
    Voll banger Ahnungen eilten wir über den Hof. Der Hauptmann führte uns zum Hospital, vor dem wir im dichten Nebel zunächst ein Gewirr von erregten Schatten sahen: Es waren Mönche und Knechte, die von allen Seiten herbeigeströmt kamen, es waren Bogenschützen, die den Eingang bewachten.
    »Diese Bewaffneten sind von mir ausgeschickt worden, um einen Mann zu ergreifen, der Licht in manch dunkles Geheimnis bringen könnte«, erklärte Bernard.
    »Meint Ihr den Bruder Botanikus?« fragte erschrocken der Abt.
    »Nein, Ihr werdet gleich sehen«, sagte Bernard, hieß die Bogenschützen beiseite treten und ging hinein.
    Wir betraten Severins Laboratorium, und drinnen bot sich unseren Augen ein gräßlicher Anblick. Der Unglückliche lag auf dem Boden in einem Meer von Blut mit zerschmettertem Schädel. Ringsum ein furchtbares Chaos, die Regale

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