Der Name der Rose
miteinander zu tun … Als Bibliothekar, müßt Ihr wissen, bin ich zuständig für die nächtliche Schließung des Aedificiums, mithin auch der Küche … Ich habe keinen Grund zu verhehlen, daß wir bald Freunde wurden im Geiste der Brüderlichkeit, auch hatte ich keinerlei Grund, irgendeinen Verdacht gegen ihn zu nähren. Eines Tages sagte er mir, er sei im Besitz von Dokumenten geheimer Natur, die ihm anvertraut worden seien und nicht in falsche Hände geraten dürften. Da ich den einzigen Ort des Klosters verwalte, der allen anderen verboten ist, bat er mich, ihm diese Dokumente sicher aufzubewahren, verborgen vor jedem neugierigen Blick, und ich willigte ein, ohne zu ahnen, daß sie ketzerischer Natur sein könnten … Ich las sie auch selber gar nicht, sondern versteckte sie unverzüglich im … im unzugänglichsten Raum der Bibliothek, und seit damals habe ich nicht mehr daran gedacht – bis mich heute früh der Herr Inquisitor darauf ansprach, und da ging ich hin und holte die Dokumente und gab sie ihm …«
Der Abt unterbrach ihn ärgerlich: »Warum hast du mich nicht informiert über diesen deinen Pakt mit dem Cellerar? Die Bibliothek ist nicht dazu da, das Privateigentum der Mönche aufzubewahren!« Womit klargestellt war, daß die Abtei mit dieser Angelegenheit nichts zu tun hatte.
»Herr Abt«, antwortete Malachias verwirrt, »mir war die Sache damals nicht wichtig genug erschienen. Verzeiht mir, ich habe gefehlt ohne Arglist.«
»Gewiß, gewiß«, versicherte der Inquisitor in herzlichem Ton, »wir alle sind überzeugt, daß der Bibliothekar in gutem Glauben gehandelt hat, und der Freimut, mit dem er dieses Gericht unterstützt, beweist es. Ich bitte Euer Hochwürden brüderlich, ihm jenes kleine Versäumnis von damals nicht nachzutragen. Wir haben Vertrauen zu Malachias. Wir möchten ihn nur noch bitten, uns jetzt unter Eid zu bestätigen, daß diese Schriftstücke hier dieselben sind, die er mir heute früh übergab und die ihm vor Jahren Remigius von Varagine anvertraut hatte.« Er zog zwei Pergamentbögen unter den Blättern auf seinem Tisch hervor und hielt sie hoch. Malachias betrachtete sie und erklärte mit fester Stimme: »Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen Vater, der Jungfrau Maria und allen Heiligen, daß es dieselben sind und waren.«
»Danke, das genügt mir«, sagte Bernard. »Ihr könnt gehen, Malachias von Hildesheim.«
Malachias ging gesenkten Hauptes zur Tür, doch kurz bevor er sie ganz erreichte, erklang eine schrille Stimme aus dem Gedränge der Neugierigen am unteren Ende des Saales: »Du hast ihm die Briefe versteckt, und dafür hat er dir in der Küche den Arsch der Novizen gezeigt!« Gelächter prustete los, Malachias drängte sich, Stöße nach rechts und links verteilend, eiligst hinaus; ich hätte schwören können, daß es Aymarus' Stimme gewesen war, doch der Satz war mit Fistelstimme geschrien worden. Der Abt lief dunkelrot an und brüllte: »Ruhe dahinten!« Andernfalls werde er alle bestrafen und den Saal räumen lassen. Bernard grinste anzüglich, Kardinal Bertrand auf der anderen Seite des Saales beugte sich zu Jean d'Anneaux hinüber und raunte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser sich rasch die Hand vor den Mund hielt und den Kopf niedersenkte, als hätte er einen Hustenanfall. William sagte leise zu mir: »Der Cellerar war nicht nur ein fleischlicher Sünder zum eigenen Wohl, er hat sich auch als Kuppler betätigt. Aber das interessiert Bernard überhaupt nicht, oder höchstens, soweit es den Abt in Verlegenheit bringt, den kaiserlichen Vermittler …«
Er wurde von Bernard unterbrochen, der sich just in diesem Moment an ihn wandte: »Mich würde interessieren, Bruder William, von welchen Schriften Ihr heute morgen mit Severin spracht, als Euch der Cellerar hörte und mißdeutete.«
William hielt dem bohrenden Blick des Inquisitors stand. »Er mißdeutete mich, in der Tat. Wir sprachen von einer Kopie des Traktates von Ayyub al Ruhawi über die Tollwut bei Hunden, ein äußerst gelehrtes Werk, das Ihr gewiß vom Hörensagen kennt und das Euch oft von großem Nutzen gewesen sein dürfte … Die Tollwut, sagt Ayyub, ist bei Hunden erkennbar an fünfundzwanzig deutlichen Anzeichen …«
Bernard, der zum Orden der Domini canes 95 gehörte, hielt es nicht für angebracht, sich auf einen neuen Kampf einzulassen. »Es ging also um Dinge, die mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun haben«, sagte er rasch und setzte das Verhör des Cellerars fort.
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