Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
abgeschlossen.
    Malachias trat vor den Richtertisch, ohne daß sieb sein Blick ein einziges Mal mit dem des Cellerars kreuzte.
    »Malachias«, sagte Bernard, »heute früh, nach Salvatores Geständnissen in der Nacht, habe ich Euch gefragt, ob Ihr von dem hier anwesenden Angeklagten jemals Briefe erhalten habt …«
    »Malachias!« heulte Remigius auf. »Du hast mir vorhin erst geschworen, daß du nichts gegen mich tun wirst!«
    Malachias drehte sich leicht zu dem Angeklagten, dem er den Rücken zuwandte, und sagte leise über die Schulter, so daß ich es kaum verstehen konnte: »Es war kein Meineid. Wenn ich etwas gegen dich tun konnte, hatte ich es bereits getan. Die Briefe befanden sich seit heute früh in Bernards Händen, schon bevor du Severin umgebracht hast …«
    »Aber du weißt doch, daß ich Severin nicht umgebracht habe! Du mußt es doch wissen, du warst doch schon drinnen!«
    »Ich? Ich kam erst herein, als sie dich bereits drinnen entdeckt hatten …«
    »Und wenn auch«, fuhr Bernard dazwischen. »Was suchtest du in Severins Laboratorium, Remigius?«
    Der Cellerar drehte sich um und schaute erschrocken zu William, dann zu Malachias und dann wieder zu Bernard. »Ich … ich hörte heute morgen, wie der hier anwesende Bruder William zu Severin sagte, er solle gewisse Schriften sorgsam verwahren … und ich fürchtete seit heute nacht, als Salvatore gefaßt worden war, es wäre von diesen Briefen die Rede …«
    »Also weißt du etwas von diesen Briefen!« triumphierte Bernard. Der Cellerar war ihm in die Falle gegangen. Er sah sich nun eingekeilt zwischen zwei Gefahren, die er gleichzeitig abwehren mußte: die Anklage der Häresie und den Mordverdacht. In seiner Not beschloß er anscheinend, zunächst der zweiten entgegenzutreten, doch instinktiv, denn er ließ nun jeden Plan und jede Bedachtsamkeit fahren. »Von den Briefen später … ich werde es Euch erklären … ich werde sagen, wie sie in meine Hände kamen … Laßt mich zuerst erklären, was heute morgen geschah. Ich dachte gleich an diese Briefe, als ich sah, daß Salvatore dem Herrn Inquisitor in die Hände gefallen war, seit Jahren quält mich der Gedanke an diese Briefe … Und als ich dann hörte, wie Bruder William zu Severin von gewissen Schriftstücken sprach … ich weiß nicht, da packte mich die Angst, ich dachte, vielleicht hatte Malachias die Briefe loswerden wollen und sie Severin gegeben … Ich wollte sie vernichten und eilte zum Laboratorium … Die Tür stand offen, und Severin war schon tot, und da machte ich mich über seine Sachen her, um diese Briefe zu finden … Es war nur aus Angst …«
    William flüsterte mir ins Ohr: »Der arme Tropf: Aus lauter Angst vor der einen Gefahr läuft er blind in die andere hinein …«
    »Nehmen wir an, daß du ungefähr – ich sage ungefähr – die Wahrheit sagst«, ergriff Bernard jetzt wieder das Wort. »Du dachtest also, Severin hätte die Briefe, und suchtest sie bei ihm. Und warum dachtest du, daß er sie hätte? Und warum hast du vorher die anderen drei Mitbrüder umgebracht? Dachtest du etwa, daß diese Briefe schon länger von Hand zu Hand gingen? Obliegt man etwa in dieser Abtei der Jagd nach Reliquien verbrannter Ketzer?«
    Ich sah, wie der Abt zusammenzuckte. Es gab nichts Schlimmeres als die Bezichtigung, Ketzerreliquien zu sammeln, und Bernard war sehr geschickt im Vermengen der Morde mit Ketzerdelikten und beider mit den Gebräuchen in der Abtei. Ein Aufschrei riß mich aus meinen Gedanken: Es war der Cellerar, der schrill protestierte, er habe nicht das geringste mit den anderen Morden zu tun. Bernard beruhigte ihn im Tone der Nachsicht: Das sei im Augenblick nicht die Frage, um die es hier gehe, die Anklage laute auf Ketzerei, der Angeklagte solle nicht dauernd (hier wurde Bernard wieder streng) von seiner ketzerischen Vergangenheit ablenken, indem er vom toten Severin rede oder den Bibliothekar verdächtig zu machen suche. Also zurück zu den Briefen!
    »Malachias von Hildesheim«, wandte er sich an den Zeugen, »Ihr steht hier nicht als Angeklagter. Heute früh habt Ihr mir rückhaltlos meine Fragen beantwortet, ohne mir irgend etwas zu verhehlen. Wiederholt uns nun bitte, was Ihr heute früh sagtet, und Ihr werdet nichts zu befürchten haben.«
    »Ich wiederhole, was ich heute früh sagte«, begann der Bibliothekar. »Als Remigius damals zu uns gekommen war, begann er sich bald um die Küche zu kümmern, und so bekamen wir häufig aufgrund unserer Pflichten

Weitere Kostenlose Bücher