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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gedanken mehr fähig, denn der Schrei, den er ausstieß, kam aus seiner tiefsten Seele, mit ihm und in ihm schrie er sich frei von jahrzehntelangen Gewissensbissen, oder anders gesagt: Nach einem Leben voller Ungewißheiten, Begeisterungen und Enttäuschungen, voller Feigheiten und Verrat, beschloß er nun endlich, konfrontiert mit der Unvermeidlichkeit seines Ruins, den Glauben seiner Jugendzeit zu bekennen, ohne sich länger zu fragen, ob er falsch oder richtig war, gleichsam wie um sich selbst zu beweisen, daß er noch zu einem Glauben fähig war.
    »Ja, es ist wahr!« schrie er auf. »Ich bin bei Dolcino gewesen, ich habe seine Verbrechen und seine Freizügigkeiten geteilt, vielleicht war ich verrückt, vielleicht verwechselte ich die Liebe zu Unserem Herrn Jesus Christus mit dem Bedürfnis nach Freiheit und mit dem Haß auf die Bischöfe. Ja, es ist wahr, ich habe gesündigt, aber ich bin unschuldig an den Vorfällen in der Abtei, ich schwöre es!«
    »Das ist immerhin schon mal etwas«, sagte Bernard. »Du gibst also zu, die Häresie Dolcinos und seiner Hexe Margaretha und ihrer Genossen geteilt zu haben. Gibst du zu, daß du bei ihnen warst, als sie unweit von Trivero viele gläubige Christen an den Bäumen aufhängten, darunter ein unschuldiges Kind von zehn Jahren? Und daß du dabei warst, als sie weitere Männer aufknüpften vor den Augen ihrer Frauen und ihrer Eltern, weil sie sich der Willkür dieser Hunde nicht unterwerfen wollten? Und weil ihr Ketzer inzwischen glaubtet, verblendet durch eure Hoffart und Raserei, daß niemand erlöst werden könne, der nicht zu eurer Sekte gehörte? Rede!«
    »Ja, ja, ich habe das alles geglaubt und getan!«
    »Und du warst dabei, als sie etliche treue Bischofsanhänger fingen und etliche elend verhungern ließen im Kerker? Und als sie einer schwangeren Frau eine Hand und einen Arm abschlugen und sie dann ein Kind gebären ließen, das gleich nach der Geburt ohne Taufe starb? Und als sie die Dörfer Mosso, Trivero, Cossila und Flecchia plünderten, brandschatzten und dem Erdboden gleichmachten, und noch viele weitere Ortschaften in der Gegend von Crepacorio und viele Häuser in Mortiliano und in Quorino? Und als sie die Kirche von Trivero anzündeten, nachdem sie zuvor die Heiligenbilder geschändet und die Gedenksteine von den Altären gerissen und der Jungfrauenstatue einen Arm abgeschlagen und die Kelche, Weihegeräte und Bücher geplündert und den Campanile zerstört und die Glocken zerbrochen und sich aller Gefäße der Bruderschaft und der Habe des Priesters bemächtigt hatten?«
    »Ja, ja, ich war dabei und habe mitgemacht, und niemand wußte mehr, was er tat, wir wollten den Tag der Großen Strafe vorwegnehmen, denn wir waren die Vorhut des rächenden Herrschers, der vom Himmel herabgesandt wird und vom Heiligen Papa Angelicus, wir mußten das Kommen des Engels von Philadelphia beschleunigen, und dann würden alle Menschen auf Erden die Gnade des Heiligen Geistes empfangen, und die Kirche würde von Grund auf erneuert werden, und nach der Vernichtung aller Verderbten würden allein die Vollkommenen herrschen!«
    Der Cellerar wirkte entrückt und erleuchtet zugleich, es schien, als wäre der Damm des Schweigens und der Verstellung in ihm gebrochen, als stehe seine Vergangenheit nicht nur in Worten erneut vor ihm auf, sondern auch in Bildern, als spüre er wieder die großen Gefühle, die ihn einst so erregt hatten.
    »Mithin«, stieß Bernard nach, »gestehst du auch, daß ihr den Gherardo Segarelli als Märtyrer verehrtet, daß ihr der römischen Kirche jegliche Autorität abspracht, daß ihr behauptetet, weder der Papst noch sonst eine Autorität könne euch eine andere Lebensweise als die eure vorschreiben, niemand habe das Recht, euch zu exkommunizieren, alle Prälaten der Kirche seit den Zeiten des Sankt Sylvester, außer Petrus von Murrone, seien Amtsverräter und Verführer gewesen, die Laien brauchten den Priestern auch keinen Zehnten mehr zu entrichten, denn die Priester lebten nicht mehr in absoluter Vollkommenheit und Armut wie einst die ersten Apostel, der Zehnte sei künftig, wenn überhaupt, allein euch zu entrichten, euch als den einzigen wahren Jüngern und Pauperes Christi, und zum Beten sei eine geweihte Kirche nicht tauglicher als ein Stall! Das alles lehrtet ihr, nicht wahr? Und ihr zogt durch die Dörfer und rieft Penitenziagite! und sangt das Salve Regina , um das Volk zu verführen, ihr spieltet die Büßer, indem ihr vor den Augen der

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