Der Name der Rose
zu Diensten gewesen war, so hast du damals, um dich zu retten, deine Sündengenossen der Gerechtigkeit ausgeliefert. Aber du hast nur ihre Leiber verraten, niemals ihre Lehren, und diese Briefe hast du aufbewahrt wie Reliquien, hoffend, daß du vielleicht eines Tages den Mut und die Möglichkeit haben würdest, sie gefahrlos zu überbringen, um dich erneut beliebt zu machen bei den Pseudo-Aposteln.«
»Nein, Herr Inquisitor, nein!« protestierte der Cellerar mit schweißbedecktem Gesicht und zitternden Händen. »Nein, ich schwöre Euch …«
»Du schwörst?« rief Bernard. »Ein neuer Beweis deiner Ruchlosigkeit! Du willst schwören, weil du weißt, daß ich weiß, daß die waldensischen Ketzer zu jeder List bereit sind und sogar zum Tod, um nur ja nicht schwören zu müssen! Und wenn sie in höchster Not sind, tun sie, als ob sie schwören, und sagen falsche Schwurworte! Aber ich weiß genau, daß du nicht zur Sekte der Armen von Lyon gehörst, du elender Fuchs, und jetzt versuchst du mich davon zu überzeugen, daß du nicht bist, was du nicht bist, damit ich nicht sage, daß du bist, was du bist! Schwören willst du? Nun gut, so schwöre, um freigesprochen zu werden, aber wisse, daß mir ein Schwur nicht genügt! Ich kann zwei, drei, hundert Schwüre von dir verlangen, so viele ich will! Denn ich weiß genau, daß ihr Pseudo-Apostel einander Dispens erteilt, wenn ihr Meineide schwört, um die Sekte nicht zu verraten, und so wird jeder Schwur zu einem erneuten Beweis deiner Schuld!«
»Aber was kann ich dann tun?« heulte der Angeklagte und fiel auf die Knie.
»Prosterniere nicht wie ein Begine! Gar nichts kannst du mehr tun. Ich allein weiß, was jetzt noch getan werden muß«, sagte Bernard mit eisigem Lächeln. »Dir bleibt nur noch zu gestehen. Doch wenn du gestehst, wirst du verdammt und verurteilt werden, und wenn du nicht gestehst, wirst du auch verdammt und verurteilt werden, nämlich wegen Meineides! Also gestehe, um wenigstens dieses Verhör abzukürzen, das unser Gewissen quält und unseren Sinn für Mitleid und Güte verletzt!«
»Und was soll ich gestehen?«
»Zweierlei Sünden. Erstens, daß du zur Sekte der Dolcinianer gehört hast, daß du ihre häretischen Ansichten, ihre schamlosen Gebräuche und ihre gottlosen Anschläge auf die Würde der Bischöfe und der städtischen Magistrate teiltest und daß du unbußfertigerweise ihre Lügen und Illusionen weiterhin teilst, auch nach dem Tode des Häresiarchen und der Auflösung seiner Sekte, die freilich immer noch nicht ganz zerschlagen und vernichtet ist. Zweitens, daß du, in tiefster Seele verdorben durch die Praktiken, die du in jener Sekte erlernt hast, schuldig bist an den Verbrechen gegen die Ordnung Gottes und der Menschen, die hier in dieser Abtei verübt worden sind, verübt aus Gründen, die mir zwar noch entgehen, aber die auch gar nicht so dringend geklärt werden müssen, wenn erst einmal vor aller Augen bewiesen ist (wie wir es hier tun), daß die Ketzerei derer, die den Gläubigen Armut predigen wider die Lehren unseres guten Herrn Papstes und seiner Bullen, letzten Endes nur zu verbrecherischen Handlungen führen kann! Das ist es, was die Gläubigen lernen müssen, und das genügt mir. Gestehe!«
Es war jetzt klar, worauf Bernard hinauswollte. In keiner Weise daran interessiert, den wahren Mörder zu finden, der in der Abtei sein Unwesen trieb, ging es ihm lediglich um den Beweis, daß Remigius die von den kaiserlichen Theologen vertretenen Ideen irgendwie teilte. Denn durch den Beweis eines Zusammenhangs zwischen diesen Ideen, die auch die Ideen des Kapitels zu Perugia waren und die der Fratizellen und die der Dolcinianer, sowie durch den Beweis, daß es hier in der Abtei einen gab, der all jene ketzerischen Ideen teilte und zugleich Urheber soundsovieler Verbrechen war, hätte Bernard seinen Gegnern einen wahrhaft tödlichen Hieb versetzt … Ich schaute zu William und sah, daß er es gleichfalls begriffen hatte, aber nichts dagegen zu tun vermochte. Ich schaute zum Abt hinüber und sah, wie sein Blick sich verfinsterte: Er machte sich klar, daß auch er in die Falle gegangen war und daß seine Mittler-Autorität zusammenbrach, erschien er doch nun als Herr eines Ortes, an welchem sämtliche Ruchlosigkeiten des Jahrhunderts sich ein Stelldichein gaben. Was schließlich den Angeklagten betraf, so wußte er nicht mehr, welcher der beiden Anklagen er sich zuerst erwehren sollte. Aber vielleicht war er jetzt auch zu keinem klaren
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