Der Name der Rose
Linderer seiner Qualen, dem er getrost sein Herz öffnen kann …«
Ich sah meinen Meister ungläubig an. »Ihr scherzt!« sagte ich verwirrt.
»Scheint dir, daß diese Dinge zum Scherzen sind?« erwiderte William.
Unterdessen hatte Bernard mit Salvatores Verhör begonnen, doch meine Feder vermag die gebrochenen Worte, die gestammelten Laute nicht wiederzugeben, mit welchen dieser ohnehin stets getretene und nun auf den Rang eines Affen erniedrigte Mensch antwortete. Es war ein nahezu unverständliches, wahrhaft babylonisches Kauderwelsch, doch Bernard stellte die Fragen so, daß der Ärmste fast nur mit Ja oder Nein antworten konnte und zu keiner Lüge mehr fähig war. Und was er sagte, kann sich der Leser gewiß leicht vorstellen. Er erzählte – beziehungweise gab zu, in der Nacht dem Inquisitor davon erzählt zu haben – Teile jener Geschichte seines Lebens, die ich bereits erfahren hatte: von seinem Vagabundendasein unter den Fratizellen, Pastorellen und Pseudo-Aposteln, wie er Remigius bei den Dolcinianern getroffen hatte und wie sie sich retten konnten nach der Schlacht am Monte Rebello und wie sie dann Zuflucht fanden im Konvent von Casale. Doch er bestätigte auch, daß Remigius kurz vor Dolcinos Gefangennahme von diesem einige Briefe erhalten habe, um sie gewissen Leuten zu überbringen, und daß der Cellerar diese Briefe immer bei sich getragen habe, weil er nicht wagte, sie den Adressaten zuzustellen, und daß er sie bei seiner Ankunft in dieser Abtei, wo er sie weder behalten noch vernichten wollte, dem Bibliothekar übergeben habe, jawohl, dem Bruder Malachias, damit dieser sie irgendwo in einem unzugänglichen Winkel des Aedificiums verberge.
Während Salvatore sprach, betrachtete ihn der Cellerar mit wachsendem Haß. Schließlich konnte er sich nicht länger beherrschen und schrie ihn an: »Du Schlange, du treulose Kreatur, du infame Bestie! Ich war dir Vater und Freund und Beschützer, und so dankst du's mir jetzt!«
Salvatore drehte den Kopf zu seinem Beschützer, der nun selber so dringend Schutz brauchte, und erwiderte mühsam: »Signor Remigio, wie ich könnt, war ich dein. Warst mir teuer und lieb. Aber weißt doch, wie's geht. Qui non habet caballum, vadat cum pede …«
»Narr!« schrie Remigius. »Meinst wohl, du könntest dich retten auf diese Weise? Hast du denn nicht begriffen, daß du genauso als Ketzer verrecken wirst? Sag ihnen, daß du nur unter der Folter geredet hast! Sag ihnen, daß du alles erfunden hast!«
»Was weiß denn ich, ich povero Salvatore, wie sie heißen, all diese Spinner … Patriner, Kathriner, Schlawiner, Lionisti, Arnoldisti, Circumcisti … Ich bin kein homo literatus, bin bloß ein povero peccatore, peccavi sine malitia, und el senor Bernardo magnificentissimo weiß das genau, und darum hoff ich auf indulgentia sua in nomine patre et filio et spiritis sanctis …«
»Wir werden Nachsicht üben, wenn unser Amt es gestattet«, sagte der Inquisitor, »und wir werden mit väterlichem Wohlwollen deinen guten Willen zu würdigen wissen, mit dem du bereit warst, uns dein Herz aufzutun. Aber nun geh, geh wieder in deine Zelle, um zu meditieren und auf die Barmherzigkeit Gottes zu hoffen. Wir haben jetzt eine Frage von weit größerem Gewicht zu erörtern … Remigius, du trugst also Briefe von Fra Dolcino bei dir und übergabst sie deinem Mitbruder, der hier die Bibliothek verwaltet …»
»Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!« schrie der Cellerar, als ob ihm diese Verteidigung noch etwas nützen konnte, und prompt schnitt ihm Bernard denn auch das Wort ab: »Nicht du bist es, der uns das bestätigen muß, sondern Malachias von Hildesheim.«
Er ließ den Bibliothekar rufen, der sich nicht unter den Anwesenden befand. Ich wußte, daß er im Skriptorium oder im Umkreis des Hospitals auf der Suche nach Benno und dem verschwundenen Buche war. Man ging ihn holen, und als er schließlich erschien, sichtlich verstört und bemüht, niemandem in die Augen zu sehen, murmelte William bitter: Jetzt kann Benno tun, was er will.« Er irrte jedoch, denn gleich darauf erblickte ich Benno zwischen den Mönchen, die sich in der offenen Saaltür drängten, um dem Verhör zu folgen Ich zeigte ihn meinem Meister, und beide dachten wir, daß anscheinend Bennos Neugier auf dieses spektakuläre Ereignis noch stärker war als seine Neugier auf das griechische Buch. Wie wir später erfahren sollten, hatte er freilich zu diesem Zeitpunkt bereits einen schändlichen Handel
Weitere Kostenlose Bücher