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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Bruder William, ich habe das Buch geholt. Ich hatte es unter der Matte in meiner Zelle versteckt, ohne es anzusehen, weil ich wußte, daß ich von Malachias beobachtet wurde. Nach einer Weile kam er und machte mir das besagte Angebot. Und da habe ich natürlich getan, was sich für einen Bibliothekarsgehilfen gehört: Ich habe ihm das Buch ausgehändigt …«
    Ich konnte nicht an mich halten und ging erregt auf ihn los: »Aber Benno! Gestern und vorgestern hast du … habt Ihr noch gesagt, daß Ihr vor Wißbegier brennt und nicht wollt, daß die Bibliothek Geheimnisse hütet, statt sich den Forschern aus aller Welt zu öffnen!«
    Benno schwieg errötend, doch William hielt mich zurück: »Adson, laß ihn, es hat keinen Zweck, seit ein paar Stunden ist Benno zur anderen Seite übergelaufen. Er ist jetzt selbst der Hüter jener Geheimnisse, die er so brennend erfahren wollte, und während er sie vor fremden Blicken verbirgt, hat er genügend Zeit, sie nach Herzenslust zu erforschen.«
    »Aber was ist mit den anderen?« rief ich verblüfft. »Benno sprach doch im Namen aller Forschenden!«
    »Vorher«, sagte William lakonisch und zog mich fort, um Benno seinen Gewissensbissen zu überlassen.
    »Du mußt begreifen«, erklärte mein Meister, »Benno ist einer großen Wollust zum Opfer gefallen, die von anderer Art ist als die Wollust Berengars und auch als die des Cellerars. Er frönt, wie viele Forscher es tun, der Lust am Wissen. Am Wissen um seiner selbst willen. Solange er zu einem Teil dieses Wissens keinen Zugang hatte, wollte er sich seiner fast um jeden Preis bemächtigen. Nun hat er sich seiner bemächtigt. Malachias kannte seinen Mann sehr genau und hat das beste Mittel benutzt, um das Buch zurückzubekommen und Bennos Lippen zu versiegeln. Du fragst jetzt vielleicht, wozu es gut sein soll, so große Wissensschätze zu hüten, wenn man nicht bereit ist, sie auch den anderen Forschenden zur Verfügung zu stellen. Doch eben darum sprach ich von Wollust. Von Wollust, Adson, die etwas anderes ist als der Erkenntnisdrang eines Roger Bacon, der die Wissenschaft in den Dienst der Menschen zu stellen trachtete und daher nicht nach Erkenntnis um ihrer selbst willen strebte. Bennos Wissensdurst ist bloß eine unstillbare Neugier, Hoffart des Geistes, eine von mehreren Arten für einen Mönch, die Gelüste seiner Lenden zu stillen in verwandelter Form, oder auch die Glut, die einen anderen zum Glaubenskämpfer macht, oder zum Ketzer. Es gibt nicht nur Wollust des Fleisches, Adson. Wollust ist auch, was Bernard empfindet, überzogene Lust an der Gerechtigkeit, die sich bei ihm mit Machtlust paart. Wollust am Reichtum empfindet unser heiliger und nicht mehr römischer Pontifex. Wollust am Zeugnisablegen, am Wandel, an Buße und Tod empfand Remigius in seiner Jugend. Und Wollust am Bücherlesen empfindet Benno. Sie ist wie alle Wollust – wie die des Onan, der seinen Samen zu Boden fallen ließ – eine sterile Lust, die nichts mit der Liebe zu tun hat, nicht einmal mit der fleischlichen …«
    »Ich weiß«, entfuhr es mir unwillkürlich. William überhörte es, fuhr aber fort: »Wahre Liebe sucht das Wohl des geliebten Wesens.«
    »Aber könnte es nicht sein, daß Benno durchaus das Wohl seiner Bücher sucht (denn nun sind es auch die seinen) und meint, ihr Wohl bestehe darin, vor raffgierigen Händen geschützt zu werden?« gab ich zu bedenken.
    »Das Wohl eines Buches besteht darin, gelesen zu werden. Bücher sind aus Zeichen gemacht, die von anderen Zeichen reden, die ihrerseits von den wirklichen Dingen reden. Ohne ein Auge, das sie liest, enthalten sie nur sterile Zeichen, die keine Begriffe hervorbringen, und bleiben stumm. Vielleicht ist diese Bibliothek einst entstanden, um die Bücher, die sie enthält, zu schützen. Aber nun lebt sie, um die Bücher in sich zu begraben. Deshalb ist sie zum Herd des Frevels geworden. Remigius sagte heute, er sei ein feiger Verräter. Nichts anderes ist Benno. Er hat seine Überzeugung verraten. Oh, was für ein schlimmer Tag, lieber Adson! Voller Blut und Verderben! Für heute hab ich genug davon! Komm, laß uns zur Komplet gehen und dann schlafen.«
    Vor der Küche trafen wir auf Aymarus. Er fragte uns, ob es wahr sei, was gemunkelt werde, daß Malachias Benno zu seinem Gehilfen auserwählt habe. Wir konnten es nur bestätigen.
    »Der gute Malachias hat sich heute allerhand feine Sachen geleistet«, kommentierte Aymarus mit seinem gewohnten milde verächtlichen Grinsen. »Wenn es

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