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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gottes diene als Mittel zur Erkenntnis der himmlischen Dinge. Bruder William hat vorhin die Lehre des Areopagiten über die Erkenntnis durch die Verzerrung erwähnt. Adelmus zitierte eine andere sehr große Autorität, nämlich den Doktor von Aquin, der gesagt hat, daß es richtig und gut sei, wenn die göttlichen Dinge mehr in Figuren gemeiner Körper dargestellt würden als in Figuren edler Körper. Erstens, weil die menschliche Seele dann leichter vom Irrtum befreit werde, denn so sei es evident, daß gewisse Eigenschaften nicht den göttlichen Dingen zugeschrieben werden können, was zweifelhaft wäre, wenn diese mit Hilfe edler irdischer Körper dargestellt würden. Zweitens, weil besagte Darstellungsweise angemessener sei für die Kenntnis Gottes, die wir auf Erden haben, denn er offenbare sich mehr in dem, was er nicht ist, als in dem, was er ist, weshalb uns die Ähnlichkeiten derjenigen Dinge, die sich am weitesten von Gott entfernen, zu einer exakteren Meinung über ihn führten, da wir nun wüßten, daß er über allem steht, was wir sagen und denken. Und drittens schließlich, weil durch diese Darstellungsweise die Dinge Gottes besser vor denen verborgen würden, die ihrer nicht würdig sind. Kurzum, es ging in jenem Disput darum, ob und wie man die Wahrheit durch überraschende Ausdrücke, treffende oder rätselhafte, zu erkennen vermag. Und ich wies darauf hin, daß sich auch im Werk des großen Aristoteles sehr klare Worte zu diesem Thema finden …«
    »Ich erinnere mich nicht«, unterbrach ihn Jorge schroff. »Ich bin sehr alt. Ich erinnere mich nicht. Vielleicht bin ich allzu streng gewesen. Es ist spät geworden, ich muß gehen.«
    »Ich wundere mich, daß Ihr Euch nicht erinnert«, beharrte Venantius. »Es war ein gelehrter und schöner Disput, in den auch Benno und Berengar eingriffen. Es ging um die Frage, ob die Metaphern und Rätsel und Wortspiele, die von den Dichtern anscheinend zum bloßen Vergnügen ersonnen werden, nicht zu neuen und überraschenden Spekulationen über die Dinge anregen können, und ich sagte, daß auch dies eine Tugend sei, die man vom Weisen verlange … Und auch Malachias …«
    »Wenn der ehrwürdige Jorge sich nicht erinnern kann, so respektiere gefälligst sein Alter und die Ermüdung seines Geistes … der ansonsten sehr lebhaft ist«, warf einer der Mönche ein. Er hatte voller Erregung gesprochen, zumindest am Anfang, denn als er merkte, daß er, um zur Achtung vor dem Alter aufzurufen, de facto auf eine der Schwächen des Alters verwies, hatte er den Impetus seiner Worte rasch gezügelt, so daß sein Einwurf schließlich mit einer fast hingehauchten Entschuldigung endete. Es war Berengar von Arundel, der Adlatus des Bibliothekars, der so gesprochen hatte. Ein junger Mönch mit bleichem Gesicht, bei dessen Anblick mir unwillkürlich in den Sinn kam, was Ubertin von dem toten Adelmus gesagt hatte: Seine Augen glichen den Augen eines lüsternen Weibes. Eingeschüchtert von den Blicken der Umstehenden, die sich alle ihm zugewandt hatten, drehte und wand er die Hände wie einer, der eine innere Spannung zu unterdrücken versucht.
    Einzigartig war die Reaktion des Venantius. Er fixierte Berengar streng, so daß dieser die Augen niederschlug, und sagte: »Schon recht, Bruder. Wenn das Gedächtnis ein Geschenk Gottes ist, so kann auch die Fähigkeit zu vergessen eine kostbare Gabe sein, die Achtung verdient. Aber ich achte sie nur bei dem ehrwürdigen Mitbruder, zu dem ich soeben sprach. Von dir hätte ich eine lebhaftere Erinnerung an die Dinge erwartet, die damals passiert sind, als wir hier standen, zusammen mit einem deiner liebsten Freunde …«
    Ich könnte nicht sagen, ob Venantius den Worten »deiner liebsten« besonderen Nachdruck gegeben hatte. Tatsache ist jedoch, daß sich plötzlich eine allgemeine Verlegenheit über die Runde senkte. Jeder blickte in eine andere Richtung, und niemand schaute auf Berengar, der heftig errötete. Schließlich griff Malachias ein und sagte mit Entschiedenheit: »Kommt, Bruder William, ich werde Euch noch einige andere interessante Bücher zeigen.«
    Die Gruppe löste sich auf. Ich konnte gerade noch sehen, wie Berengar dem Venantius einen grollenden Blick zuwarf, den dieser mit stummer Herausforderung zurückgab. Zugleich aber sah ich, daß der alte Jorge sich zurückziehen wollte, und bewegt von einem spontanen Impuls, ihm meine Verehrung zu bezeugen, neigte ich mich, um seine Hand zu küssen. Der Alte nahm meinen Kuß

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