Der Name der Rose
das Schuhwerk gesehen?«
Die Betenden hielten inne, der Abt stürzte eilends zur Tür und hieß den Cellerar, ihm zu folgen. William heftete sich an seine Fersen, doch schon erhoben sich auch die anderen Mönche und strömten hinaus.
Der Himmel war klar und wolkenlos, im Osten tagte es, und die weiße Schneedecke ließ das Gelände noch heller erscheinen. Hinter der Kirche, im Hof vor den Ställen, drängten sich Männer um den großen Bottich mit Schweineblut, der seit dem Vortag dort stand. Über den Rand des Bottichs ragte ein seltsam längliches Etwas, x-förmig und schief, als wären es zwei überkreuzte Stangen, wie man sie auf den Feldern in den Boden steckt und mit Lumpen behängt, um die Vögel zu schrecken.
Es waren indes zwei menschliche Beine: die Beine eines kopfüber in den Bottich gestürzten Mannes.
Der Abt befahl, daß man die Leiche (denn nur eine Leiche konnte es sein: kein Lebender hätte in einer so widernatürlichen Stellung so lange ausgehalten) aus der eklen Flüssigkeit ziehe. Widerwillig, doch folgsam traten die Schweinehirten an den Kübelrand und hievten den blutigen Körper heraus, nicht ohne sich selber dabei aufs heftigste zu besudeln. Das Schweineblut war in der Tat nicht geronnen, da man es, wie mir am Vortag erklärt worden war, gleich nach der Schlachtung gründlich gerührt und dann in der Kälte stehengelassen hatte, doch die klebrige Schicht, die den Leichnam bedeckte, seine Kleidung durchtränkte und seine Züge unkenntlich machte, wurde nun zusehends stockig und zäh. Ein Diener eilte mit einem Eimer voll Wasser herbei und goß davon auf das Gesicht des grausigen Toten, ein anderer beugte sich mit einem Tuch darüber und wusch das Blut ab – und so erschienen vor unseren Augen allmählich die bleichen Züge des Mönches Venantius von Salvemec, jenes Kenners der griechischen Welt, den wir am Vortag noch im Skriptorium bei den Büchern des toten Adelmus gesprochen hatten.
»Adelmus mag Selbstmord begangen haben«, sagte William bedächtig, während er die Züge des Toten musterte. »Aber der hier bestimmt nicht, und es ist wohl auszuschließen, daß er zufällig auf den Rand des Bottichs hinaufgeklettert ist und aus Versehen hineinfiel.«
Der Abt trat näher und sagte erregt: »Bruder William, Ihr seht, es geht etwas vor in dieser Abtei! Etwas, das Eure ganze Klugheit fordert! Ihr müßt rasch handeln, ich bitte Euch dringlichst!«
»War Venantius heute früh während der Mette im Chor?« fragte William.
»Nein. Ich hatte sein Fehlen schon bemerkt.«
»Hat sonst noch jemand gefehlt?«
»Nicht daß ich wüßte.«
William zögerte einen Moment, bevor er die nächste Frage stellte, und fragte dann leise, so daß ihn möglichst kein anderer hören konnte: »War Berengar an seinem Platz?«
Der Abt sah ihn mit einer Mischung aus Unruhe und Bewunderung an, als wollte er seine Überraschung darüber zum Ausdruck bringen, daß William einen Verdacht hegte, der ihm selber gerade gekommen war, freilich aus verständlicheren Gründen. Dann sagte er rasch: »Ja, er war da, in der ersten Reihe, fast direkt neben mir.«
»Natürlich«, sagte William, »bedeutet das alles gar nichts. Ich glaube nicht, daß jemand über den Hof gegangen ist, um sich dann von hier aus in die Kirche zu begeben. Folglich kann der Leichnam schon seit Stunden im Blut gesteckt haben, möglicherweise schon seit der ersten Stunde nach Komplet, als alle schlafen gingen.«
»Gewiß, die ersten Knechte stehen auf, wenn es hell zu werden beginnt, und deshalb haben sie ihn auch erst jetzt entdeckt.«
William beugte sich über den Toten und musterte ihn, als wäre er den Umgang mit Leichen gewohnt. Er tauchte das Tuch ins Wasser und wischte die restlichen Blutspuren vom Gesicht. Inzwischen waren die anderen Mönche alle gekommen, standen erschrocken im Kreis um den Bottich und schwatzten aufgeregt durcheinander, bis der Abt ihnen Ruhe gebot. Severin drängte sich durch die Reihen, der Bruder Botanikus, der sich auch um die Leichen in der Abtei zu kümmern hatte, und beugte sich neben William über den Toten. Ich überwand mein Grauen und trat als Dritter hinzu, um meinem Meister zu helfen, falls er ein neues Tuch und mehr\ Wasser brauchte, und um zu hören, was die beiden miteinander redeten.
»Hast du schon mal einen Ertrunkenen gesehen?« fragte William.
»Schon viele«, sagte Severin. »Und wenn ich deine Frage richtig verstehe: Sie sehen anders aus, ihre Züge sind aufgedunsen.«
»Dann war dieser
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