Der Name der Welt
Füße werden furztrocken bleiben. Den Bus fährt heute wieder diese Frau», sagte er zu seinem Kompagnon. «Siehst du die?»
«Klar seh ich die.»
«Sie lebt unten in Chicago», sagte er.
«Tatsache?»
Ich gab ihm zehn Dollar.
«Drum fährt er jetzt in Illinois», sagte er.
«Behalten Sie den Rest», sagte ich zu ihm.
«Danke sehr», sagte er zu mir. «Sie», sagte er zu dem anderen. «Sie, meine ich, Eddies Schwester.»
Ich ließ sie allein durch diesen Wald von Pronomina tasten und wandte mich an die Frau, die den Bus nach Riverside fuhr. Sie saß über den großen, flachen Lenker gebeugt und studierte eine Kladde, als ich durch die geöffnete Tür zu ihr hinaufsah.
Ich hielt einen Zwanziger zwischen den Fingern. «Kann ich einfach bei Ihnen bezahlen, einsteigen und mitfahren?», fragte ich.
«Genau so funktioniert’s», sagte sie.
Ich stieg ein.
«Brauche ich keinen Fahrschein?»
«Ich hab welche. Und drinnen haben sie auch welche.» Sie gab mir das Wechselgeld heraus. «Sie können auch per Post Fahrscheine bestellen. Alle Welt will Ihnen einen Fahrschein für meinen Bus verkaufen.»
Der Bus war beinahe voll, ein Großteil der Passagiere fuhr wahrscheinlich zum Kasino in Riverside. Ich setzte mich neben einen winzigen alten Herrn, der eine schwarzen, gewölbten Insektenaugen ähnliche Sonnenbrille trug. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gangs saß ein kleiner Brocken von Mann, der mir, kaum war der Bus stadtauswärts auf die Interstate eingeschwenkt, eröffnete, dass er mehrmals im Monat in Riverside spiele, dass er Vince heiße, dass er seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Stukkateur verdient habe, bis ihm durch die harte Arbeit die Gelenke kaputtgegangen seien, und dass er sich nunmehr mit Hilfe einer staatlichen Behindertenrente und seines ihm angeborenen Glücks durchschlage. Sobald er meine Aufmerksamkeit gewonnen hatte, hörte er nicht mehr auf zu reden und sah mich dabei unverwandt an. Wohin der alte Herr unter seinen schwarzen Halbkugeln schaute, war hingegen nicht zu sagen. Ich wusste, dass Pokerspieler oft Sonnenbrillen aufhatten, um ihre Emotionen zu verbergen. Mir war, als verdrängte der Mann mit seinem Stoizismus etwas Ungeheuerliches.
In diesen Bus zu steigen war eine verrückte Eingebung gewesen, aber tatsächlich hatte ich bereits seit einiger Zeit vorgehabt, irgendwann einmal nach Riverside zu fahren. Ein Musiker namens Smokey Henderson, ein Trompeter, den ich durch Ted MacKey kennengelernt hatte und der ein kleines Jazz-Trio leitete, hatte mir erzählt, seine Band spiele regelmäßig in einem Klub, der dem Indianischen Kasino dort angeschlossen sei. Ich hatte ihre Musik ein- oder zweimal in Teds Haus ganz schön gefunden, und es schien genau der richtige Tag zu sein, um sich mehr davon anzuhören.
Riverside lag etwa sechzig Kilometer entfernt an der zweispurigen Asphaltstraße, die in der Gegend als Alter Highway bekannt war. Man hatte mir gesagt, es sei eine beschauliche Stadt, Teil des Reservats am Sioux River.
Am späteren Nachmittag wurde ich zu einer kleinen Zusammenkunft am Historischen Institut erwartet, einem monatlich stattfindenden Kaffeeklatsch, aber indem ich in diesen Bus gestiegen war, hatte ich mir eingestanden, dass es nicht mehr darauf ankam, ob ich Zeit mit meinen Kollegen verbrachte oder Dutzende von Kilometern entfernt Jazz hörte.
Unser Bus verließ die Interstate und bog auf den Alten Highway ein. Mein Freund Vince auf der anderen Gangseite, der Anfang fünfzig zu sein schien, erzählte mir von einem Kumpel, der ihm in letzter Zeit oft im Kopf herumgegangen war. «Er ist vor zwei Jahren gestorben. Vor dreien eher. Er hat sich auf Teufel komm raus die Leber ruiniert. Ist fetter geworden als ‘ne verdammte Kröte. Das ist jetzt schon der Dritte, bei dem ich das miterlebt hab. So fett ist der geworden», und so weiter. Mir machte das nicht viel aus. Vince hatte eine schillernde Vergangenheit, war mehrmals verheiratet gewesen, hatte gefährliche Berufe ausgeübt, in Vietnam gekämpft, im Vorjahr, weil er einen Suchtberater für Alkoholabhängige in dessen Büro attackiert hatte, 210 Tage im Gefängnis abgesessen, und wie viele andere Menschen auch, neben denen man im Bus Platz nimmt – was ich wusste, seit ich das Autofahren aufgegeben hatte –, spielte er diese Geschichte offenbar immer wieder gern in der Stille seiner Gedanken durch und teilte sie stolz jedem höflichen Zuhörer mit. Über unseren Köpfen dehnte sich klar der Himmel. Die
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