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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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Felder waren zu geraden Reihen gepflügt worden, aber noch spross dort nichts, und von hier bis zum Horizont sahen wir in allen Himmelsrichtungen nur die peinlich genau ausgerichtete, leblose Erde. Ende August würde man den Horizont nicht mehr sehen können. Der Alte Highway würde sich wie ein Tunnel durch den hohen Mais bohren. Das Gesumm der Insekten auf den Feldern würde ohrenbetäubend sein, und über alles hinweg erklänge der Ruf, das trillernde Gezwitscher, der Rotschulterstärlinge. Doch jetzt schwebten wir durch einen weichen ockerfarbenen Dunst aus Staub.
    Hier am Sioux, das erkannte ich, als der Bus uns in einer Blase klimatisierten künstlichen Schweigens nach Riverside hineintransportierte, hätte Sam Clemens sich richtig zu Hause gefühlt. Es war eine Stadt am Fluss mit einem Tom-Sawyer-Flair, sonnig, träge und schwül, in der das Schweigen andauerte, nachdem wir in die Hitze hinausgetreten waren, denn das Leben dort verlief generell so leise, dass man dieFliegen hören konnte.
    Der Bus hatte vor einem Stand gehalten, an dem zwei mit Türkisschmuck behängte Frauen in Hirschlederkleidern und mit perlenbesetzten Stirnbändern Tabak und Feuerwerkskörper verkauften. Nicht weit von ihnen standen ein paar Indianer in Jeans, Stiefeln und karierten Hemden, die ihnen aus der Hose hingen, und redeten. Zwei von ihnen klammerten sich aneinander, leeren Blicks und besoffen, schoben sich mit einer solchen Schläfrigkeit herum, dass man eine Weile brauchte, bis man merkte, dass sie rangen. Der Alte Highway führte über den Fluss hinweg und dann geradewegs aus der Stadt hinaus, wobei er noch die Hauptstraße und den parallel zu ihr verlaufenden, unkrautüberwucherten Bahnkörper kreuzte. Es gab zwei Kasinos, jeweils mit Nachtklub und Restaurant, eines davon mit einem kleinen Motel. Ansonsten schien die Stadt aus Tankstellen, Eisenwarenläden und Holzlagern zu bestehen.
    Vince drängte mich, in sein bevorzugtes Kasino mitzukommen, nämlich das, das näher am Wasser lag. Inzwischen war mir klar, dass er mich ins Herz geschlossen hatte, also ging ich mit.
    In der Nähe des Flusses fühlte sich die Luft noch feuchter und schwerer an. Es gab knospende Weiden und irgendwo laute Grillen. Am Ufer roch es nach landwirtschaftlichen Chemikalien, aber auch nach etwas Süßem, seltsam Vertrautem, wie Zuckerwatte. Da der Fluss mit dem Mississippi verbunden war, streckte der einen südlichen Finger hierher aus, während sich die Kasinos – eines graubraun, das andere himmelblau, beide mit Wandmalereien, die kahle, trockene Wüsten zeigten, das von Vince mit einem großen, von einem Adler gekrönten Totempfahl aus Styropor – um ein Western-Ambiente bemühten.
    Smokey Hendersons Trio trat tatsächlich in der Stadt auf, und zwar genau hier in Vince’ Zockerhöhle. Dem Plakat im Eingang der Kneipe zufolge standen sie aber nicht vor dem Abend auf dem Programm. Natürlich hatte ich das gewusst, es mir aber nicht klargemacht. Nach Busverbindungen für die Rückfahrt hatte ich mich auch nicht erkundigt. Ich glaube, dass ich von Anfang an über Nacht bleiben und zum Schaden meiner Gesundheit und Finanzen trinken und spielen wollte. Mit anderen Worten: exzessiv. Ich konnte nicht davon ausgehen, bis dahin viel Ablenkung zu finden. Aber warum auch? Warum sollte an diesem faden, sonnigen Nachmittag irgendetwas los sein, warum sollte irgendein Versuch unternommen werden, all die Rentner zu unterhalten, die nur darauf aus waren, mit so wenigen Quarters wie möglich möglichst viel Zeit totzuschlagen? Aber offenbar tat sich drinnen doch etwas, hinter der Bar, in die Vince und ich jetzt gingen. Ein halbes Dutzend junger Frauen hatte sich in einem Winkel des großen Raums versammelt, und gerade kamen ein paar weitere aus den noch dunkleren Ecken, dem Eingang zu einem Showroom mit Bühne. «Nach da hinten, wo einem kleine Mädels ihre Muschi vorm Gesicht rumschwenken, kriegen Sie mich aber nicht mehr», sagte Vince zu dem Barkeeper, nahm mich am Arm und zog mich auf den Hocker neben sich. «Früher bin ich bei nackten Mädels zum Tier geworden, aber heute lassen sie mir nur noch gehörig das Herz bluten. Frag mich, was mein liebster Zeitvertreib ist, und ich sage dir: Mein liebster Zeitvertreib ist Blackjack. Für das andere bin ich zu dick und zu alt.»
    Vince bestellte Wodka. Ich nahm ein Club-Soda. Aus dem Showroom kam Disco-Musik mit dröhnenden Bässen und einer klaren, durchdringenden Diskantstimme. Offenbar, so schloss ich aus dem

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