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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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herumgespukt ist oder nicht, er war immer da. Hat mich immer beherrscht, mich und mein ganzes Leben. So melodramatisch das auch klingt. Und jetzt ist er tot, und die Last ist von mir genommen. Was für ein erfreulicher Tod! Das will ich sagen, und schauen Sie, das konnte ich niemandem sagen, der ihn tatsächlich gekannt hat. Das sehen Sie bestimmt ein. Also bekommen Sie diese Nachricht: Was für ein erfreulicher, wunderbarer Tod!
     
    Ferner schreibt J. J., er habe einen Artikel von mir im Men’s Journal gesehen. «Was für ein Coup!», sagt er. Ich nehme ihm den Sarkasmus nicht übel.
    Ansonsten bekomme ich von all diesen Leuten nichts mehr mit, ausgenommen, wie gesagt, die gelegentliche Karte von Ted MacKey, den Sie sich bitte mir gegenüber auf einer Sitzbank des Kellerlokals vorstellen, vor inzwischen einigen Jahren, genau wie ich die Hände um einen kalten Drink gelegt, während draußen der Mittlere Westen eine Hitzewelle übers Land drückte. Eloise war auch dabei. An diesem Tag redete sie nicht viel. Ted, betrunken, beugte sich zu mir, richtete sich an irgendeiner inneren Stütze auf und sagte nur: «Du hast keine Ahnung. Keine Ahnung. Du hast einfach keine Ahnung.» Er hatte die Jukebox mit ein paar Dollar gefuttert und sie so eingestellt, dass sie ohne Ende «Let Me Roll It» von Paul McCartney spielte. Nach einigen Drinks redete auch Ted nur noch sehr wenig. Meistens sang er.
     
    I went down to St. James Infirmary
    And I saw my baby there.
    She was stretched out on a long white table,
    So still, so cold, so bare
     
    sang er jetzt (während die Jukebox Paul McCartney spielte).
     
    Let her go, let her go, God bless her
     
    sang er und breitete die Arme aus.
     
    Wherever she may be …
     
    Den Rhythmus konterkarierend, strickte er das alte Spiritual mit dem McCartney-Song aus der Jukebox zusammen und sang ein komisches Duett.
    «Reed», sagte er, «Reed. Mann – begrab mich bloß irgendwo, wo kein Mais wächst.»
    Eloise lachte und hustete trocken. Sie hatte die gequetschten Nebenhöhlen einer Englischen Bulldogge.
    Gerade habe ich meine Erinnerung die Treppe hinabschwanken, an der Bar entlangschweben und im Licht der Jukebox verharren lassen, aber eigentlich ist das sinnlos. Dort unten geschah einfach nichts Berichtenswertes. Oben in der Welt im Übrigen auch nicht. Ich hatte meine wenigen Besitztümer in Kartons verpackt und war bereit, so lange in ein Motel zu ziehen, bis ich einen Grund gefunden hätte, aufzubrechen – bis ich ein Ziel wüsste. Davon abgesehen war der Monat Juni so gut wie nicht vorgekommen. Aber er endete mit einigem Getöse.
    Am neunundzwanzigsten fuhr ich Ted vom Dooley’s aus nach Hause, weil er zu denken schien, dass es so am besten sei. Das hatte er noch an keinem der anderen Tage gedacht, an denen er sich nach mehreren Drinks aufgerappelt und verkündet hatte, er sei jetzt hungrig, bevor er mit mechanischer Zielstrebigkeit die Treppe hinaufmarschiert war. Aber heute brachte ich ihn nach Hause und Eloise Sprungl auch. Ted bestand darauf, dass wir zuerst zu ihm fuhren, weil er mir etwas zeigen wollte.
    «Also, was ist es denn?», fragte ich, als wir vor seinem großen Haus hielten.
    «Das Auto. Das Auto wollte ich dir zeigen.»
    «Hm, es ist ein ausgezeichnetes Auto, Ted.»
    Ich hatte lange keinen Wagen gefahren, vier ganze Jahre und drei Monate nicht. Diesen zu fahren machte mir Spaß.
    «Es ist ein 85er BMW 302 oder 203 oder – willst du ihn haben?»
    «Haben? Du meinst, im Sinne von besitzen?»
    «Er ist zu verkaufen.»
    «Was kostet denn so ein Ding?»
    «Fahr ihn.»
    «Hab ich doch gerade.»
    «Fahr ihn, Mann. Behalt ihn ein paar Tage. Lass uns danach darüber reden. Er ist zu verkaufen, und ich will, dass du ihn bekommst, denn er ist zu verkaufen.»
    Ted wohnte in einem Rotklinkerhaus. Es hatte einen kleinen Portikus mit weißen Säulen und eine halbkreisförmige Auffahrt, klein auch die, aber beide zusammen, Portikus und Einfahrt, besagten: «Dies will eine Residenz sein.» Daneben stand Teds blonder zehnjähriger Sohn in einem weißen T-Shirt und weißen Shorts und paffte schamlos mit großer Geste an einer unangezündeten Zigarette. Der Lautenspieler. Ted stieg schimpfend und lachend aus. Er entriss seinem Sohn die Zigarette und warf sie weg, und sie fiel auf den grünen, kurzgeschorenen Rasen. Gemeinsam gingen sie ins Haus.
    Ich hielt das Lenkrad umfasst und trat das Gaspedal meines neuen Wagens durch. Die Entscheidung war schon mit dem Angebot gefallen. Ich

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