Der Name der Welt
eine politische Philosophie gehalten hatten, war, wie sie nun einsahen, immer auf eine reine Ästhetik hinausgelaufen, und die Trennung, die sie nun von ihrer früheren Bedeutungsmacht erfuhr, konnte nur zu ihrer Bereinigung dienen. Diese Leute nahmen ihren Unernst ernst. Das schloss einen gewissen Stilwandel nicht aus. Die Männer rauchten nicht mehr Pfeife, und die Frauen tranken keinen Sherry und trugen auch keinen grellen, ungeschickt aufgetragenen Lippenstift mehr. Ich weiß nicht, warum ich da hingefahren bin. Ich glaube, ich wollte, dass dort irgendetwas mit mir geschah, aber es geschah nichts.
Außer dass ich ein paar Tage in der Stadt verbrachte und mir wie jedes Mal auffiel, wie schmutzig und schön New York ist. Das graue Licht ist ein Gedicht. Und erst die Graffiti an der Amtrak-Strecke: Die Gleise fuhren unterhalb der Straßen in nördlicher Richtung aus der Penn Station heraus, beinahe wie durch einen Tunnel, und an den vorbeihuschenden Tags von Gangs und einzelnen Spraykünstlern vorbei, die sich das Sonnenlicht zunutze machen, das auf die schmalen Flächen zwischen den Überführungen fällt, wo ihre fetten Namenszüge, an- und abgeschaltet in den wechselnden Zonen von hell und dunkel, ballongleich aus dem Hintergrund ihrer merkwürdigen Kunstwerke herausschwellen. Wie fremde Ideogramme lassen sie die Buchstaben unseres Alphabets aussehen, bildungsfern, krass abweisend, aber auch fröhlich: magische berstende Sterne, Spiralen, Blitze. Und ich erkannte, dass ich von einem Kunstwerk zuallererst fordere, dass sein Programm – ist das das passende Wort? – mich selbst nicht einschließt. Ich will nicht, dass seine Intentionen durch den Versuch in Zweifel gezogen werden, mir irgendetwas zu vermitteln, ja mich überhaupt zu berücksichtigen.
Keine Ahnung, was mich in diesem Augenblick an Flower Cannon erinnerte, aber ich muss doch sagen, das vorbeihuschende Schauspiel rückte meine jüngsten Erlebnisse mit ihr in eine gewisse Perspektive. Bei diesen Erlebnissen war es ja meist darum gegangen, sie zu sehen, sie anzuschauen – nicht darum, sie sprechen zu hören oder sie gar zu berühren. Und jetzt, denke ich, könnte es sein, dass diese Erzählung kohärent wird, wenn ich Sie bitte, sich Folgendes dazu vorzustellen: leuchtende Bilder, die in zerfließender Unscharfe herbeizitiert und wieder ausgeblendet werden. Der Unterschied bestand nur darin, dass ich in Flower keine Botschaft sah, sondern einen Geist, den Geist meiner Tochter – ja, und eine Weile kam und ging sie im Fluss der Ereignisse wie meine Elsie im stillen Katarakt meiner Erinnerung.
Was ich hier ausgemalt habe, ist die isolierteste, ereignisärmste Zeit in meinem Leben. In den letzten paar Wochen hatte ich mehr erlebt als in Jahren zuvor – mich in eine kleine, aber unmögliche Schwärmerei für eine Studentin hineingesteigert, mir ins Gesicht schlagen lassen, meine Arbeit ein Jahr früher verloren als erwartet, eine sinnlose Reise unternommen. Ich brauchte eine weitere Abweichung von der Kreisbahn, in der ich mich drehte, eine weitere, befreiende Abweichung, bevor ich mich sacht daraus lösen und einen neuen Weg einschlagen konnte. Ich würde sagen, ich war mir dieses Bedürfnisses beinahe bewusst. Suchte beinahe bewusst Arger.
Das letzte Ereignis in meinem Terminkalender sollte das Auslaufen meines Mietvertrags Ende Juni sein. Vorher musste ich die Stadt verlassen haben. Ich gab über den Sommer keine Aufbaukurse, hatte nichts zu tun, keine Menschen, die mich hielten – meine Zeit war um. Aber als der Seminarbetrieb im Frühjahr endete, ging ich nicht fort.
Mitte Juni schien die Stadt paralysiert vom Sommer, von fast der Hälfte ihrer Einwohner verlassen, zumal der lebendigeren. Es war heiß. Schwül. Ich faulenzte. Langweilte mich. Am Nachmittag beinahe jedes Werktages traf ich Ted MacKey in einem klimatisierten Kellerlokal und sah zu, wie er sich betrank. Dann brachen wir zu unseren jeweiligen Abendessen auf.
Manchmal gesellte sich Eloise Sprungl zu uns. Sie war die Frau, die für viele der Dinner an der Philosophischen Fakultät das Catering machte. Ich habe sie als Abbild von Peter Lorre beschrieben. Ein paar Jahre lang hatte sie zum festen Lehrkörper der Kunsthochschule gehört und sogar eine Zeitlang als Institutsleiterin gearbeitet, aber eines Tages war sie einfach nicht mehr erschienen. Hatte die Kündigung eingereicht. Nun malte sie fast täglich, hatte ein Atelier bei sich zu Hause, glaubte aber nicht an ihr Talent. All
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