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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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hatten doch vereinbart nachzudenken.
    «Nicht dass ich wüsste.»
    «Dann eben nicht. Wahrscheinlich dumm von mir, überhaupt damit anzufangen. Jedenfalls – na, sagen Sie’s schon. Was ist passiert?»
    «Die Stelle ist in eine Professur auf Lebenszeit umgewandelt worden. Das kam ziemlich unvermittelt, Mike.»
    Wir wussten beide, dass ich nichts unternommen hatte, um mich für eine Festanstellung zu empfehlen.
    «Wir haben zwar vermutet, dass es so kommen würde, aber nicht so schnell», erklärte sie. «Tatsache ist jedenfalls, dass Marty uns in dem Moment mit der Professorenstelle beglückt hat, als Tiberius die gute Presse bekam. Schauen Sie, wir müssen Tiberius eine unbefristete Stelle geben. Und wir sollten es lieber jetzt als später tun, sonst verlieren wir ihn nämlich.»
    «Wenn Sie ihn nicht schon verloren haben.»
    «Er ist nicht so durch den Wind, wie er tut. Er macht uns nur Feuer unterm Hintern. Und lacht sich dabei ins Fäustchen, sag ich mal.»
    Marty Peele war Dekan der Philosophischen Fakultät (und der Mann, in dessen Haus Tiberius so erfreut gewesen war, Kelly Stein zu begegnen). Die Geschichtswissenschaft hatte er kaum auf dem Radar, aber offenbar war er durch eine Reihe von Interviews, die Tiberius dem öffentlichen Fernsehen gegeben hatte, elektrisiert worden. Soames war darin brillant gewesen. Was ihm seine herausragenden Leistungen in der Lehre nicht hatten verschaffen können, verschaffte ihm nun der Eindruck, er könnte berühmt werden. Gut für ihn.
    «Gut für ihn. Und, na klar, auch gut für das Institut. Ja für die ganze Universität. Es kommt nur etwas – wie Sie selbst schon sagten – plötzlich.»
    «Ich hätte Ihnen gern für ein Jahr Tibbys Posten zugeschanzt, aber die Wahrheit ist, wir mussten auch unser Budget neu verteilen. Die Stelle ist nicht mehr vorhanden, jedenfalls für die nächsten ein, zwei Jahre nicht.»
    «Sie meinen, sie ist gestrichen?»
    «Na ja, irgendwie gibt es sie schon noch. Es ist nur nicht viel Geld dafür da.» Mit anderen Worten, Tiberius musste eine satte Gehaltserhöhung bekommen haben.
    «Vielleicht könnte ich mich ja damit bescheiden. Nur für ein Jahr.»
    «Also, natürlich, Mike. Wenn Sie die Stelle wollen – äh.» Sie endete mit einem beinahe wimmernden «O Mike!».
    «O Clara!» Es war unmöglich. Ich hätte nicht fragen sollen. «In Ordnung. Ich komme mir wie ein Idiot vor. Ich weiß, Sie haben Ihr Möglichstes getan. Dann bin ich also draußen. Ich schulde Ihnen Dank, das ist alles.»
    «Sie waren wunderbar», sagte sie.
    «Ich habe mich wohlgefühlt hier.» Das meinte ich ernst.
    Ich nahm die Treppen zum Eingang am Parkplatz. Als ich auf die Straße kam, wusste ich nicht, ob ich nach rechts oder links gehen sollte. Bald würde ich anfangen müssen, mich wie jemand zu verhalten, den interessierte, was mit ihm geschah.
    Viel geschah nicht. Am nächsten Tag kehrte ich mit einem Pappkarton ins Büro zurück und verstaute den Inhalt meines Schreibtischs darin. Im Lauf der nächsten zwei Wochen trug ich mehrere solcher Kartons in das Haus, das ich gemietet hatte. Langsam packte ich, noch ohne Ziel. Ich beobachtete, wie sich das Wetter änderte.
    Kurz vor dem Ende des Studienjahres unternahm ich eine Reise in den Staat New York, um an der «Konferenz für aufstrebende Demokratien» teilzunehmen. Ich flog nach New York City und bestieg dort den Zug. Ich brauchte nichts vorzubereiten, musste keine richtige Rolle spielen bei der Konferenz, die von der Giddings-Stiftung für politische Studien gesponsert wurde und seit den Zeiten, in denen «Demokratie» noch «Sozialismus» bedeutet hatte, einmal jährlich stattfand, eine Versammlung von Intellektuellen, die dieser Tage eine kühl – um nicht zu sagen: kühn – durchdachte Selbstbeschränkung vornahmen. Ich verbrachte dort ein ausgedehntes dreitägiges Wochenende in Gesellschaft zahlreicher Leute, denen es, wie ich irgendwie erfreut feststellte, nicht in den Sinn kam, ihre frühesten und hoffnungsvollsten Überzeugungen aufzugeben. Sechzehn Wochen zuvor war die Berliner Mauer gefallen. Niemand erwähnte das. Der Begriff «marxistisch» geisterte umher, aber keiner der Redner bezog sich je auf «Die Linke», «Die Revolution» oder «Das Volk». Auf den Podien, hinter Pulten versteckt – so winzig in den fast leeren Auditorien –, demonstrierten sie die beherzte, hemmungslose Unerschütterlichkeit von Sonderlingen und alten Jungfern in Romanen aus vergangener Zeit. Was sie fälschlich für

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