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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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schob es hinaus, Ted oder sogar mir selbst das einzugestehen, aber der Wagen gehörte mir.
    Ich brachte Eloise zu ihrer Wohnung auf der anderen Seite der Stadt. Unterwegs fragte ich sie, ob sie in letzter Zeit viel zum Malen gekommen sei, und sie verneinte. «Beim Catering herrscht Flaute, und dann male ich weniger. Aus irgendeinem Grund male ich mehr, wenn ich mehr arbeite. Ich mache praktisch Ferien. Irgendwelche Aufträge könnte ich sowieso nicht bewältigen. Es ist niemand Erfahrenes zum Helfen da außer Phil und Flower.»
    «Du meinst wahrscheinlich Flower Cannon.»
    «Genau. Sie ist – du kennst sie ja. Hast du sie gehabt?»
    «Na. Eloise.»
    «Als Studentin, Mike.»
    «Wir kennen uns. Ich glaube nicht, dass sie sich für Geschichte interessiert.»
    «Kann ich mir auch nicht vorstellen. Diesen Sommer gibt sie die verrückte Cellistin. Sie organisieren gerade so was wie ein Kammermusikensemble, ich weiß auch nicht genau. Hier wohne ich. Wie findest du die Kiste?» Sie meinte das Auto.
    «Gut. Ich bin jahrelang nicht mehr gefahren. Da fühlt sich alles komisch an.»
    «Ein BMW kann sich nicht allzu komisch anfühlen. Wie viel hat er runter? Ah, reichlich.» Sie hatte sich zu mir gebeugt, schielte auf den Tacho.
    «Wenn ich ihn nicht bis morgen zu Schrott gefahren habe, werde ich ihn wohl kaufen.»
    «Kauf ihn doch gleich! Der Arsch ist besoffen!» Sie küsste mich auf die Wange und stieg aus.
    «Siehst du Flower häufig oder eher nicht?», fragte ich sie durchs Fenster.
    «Flower? Nein.» Jetzt zwinkerte sie und grinste anzüglich. Sie hatte ein wirklich wandlungsfähiges Gesicht! «Bist du scharf auf sie?»
    «Scharf? Na sag mal. Du bist vielleicht höllisch direkt.»
    «Normalerweise würde ich ein junges Mädchen vor einem Prof warnen. Aber, mein Freund, in diesem Fall bist du derjenige, der gewarnt sein sollte.» Sie beugte sich zu mir herab, und in ihrem Atem mischten sich beim Sprechen Rauch und Pfefferminzlikör. «Ich bin nämlich deine Freundin, das weißt du doch. Am Ende sind es immer unseresgleichen, die aneinander kleben bleiben.» Sie richtete sich auf und wandte sich an die gesamte Nachbarschaft: «Irgendwann wirst du mich heiraten, die Kratzbürste mit den zu vielen Katzen und dem Alkoholproblem im Sommer! Und du wirst Gott dafür danken!
    Zumindest hast du schon mal ein flottes Auto!», rief sie mir nach, als ich davonfuhr.
    In dieser Nacht hatte ich einen lebhaften, verstörenden Traum, der mich aus dem Bett und im Bademantel in die Küche trieb, wo ich beunruhigt die Zeit bis zum Morgengrauen totschlug. Ich finde, sich über seine Träume zu verbreiten ist eine Zumutung für alle, und gewöhnlich mache ich mir nicht einmal die Mühe, mich an meine eigenen zu erinnern. Aber da sich nun mal herausgestellt hat, und hierüber sind wir uns wohl einig, dass die Knoten, die Orientierungspunkte in diesem roten Faden die Momente sind, die mit Flower Cannon zu tun haben, will ich Ihnen von diesem Traum erzählen. Ich folge Flower Cannon durch Verwaltungsflure – einen jener Orte, an denen man sich von Zeit zu Zeit mit einem Formular in der Hand einfindet und nach einem Büro sucht, in dem jemand das Ding nimmt und es einem erklärt. Aber ich hatte kein Formular, ich hatte nur die verschwommene weibliche Gestalt irgendwo vor mir, die mich zu dieser planlosen Wanderung veranlasste. Sie verschwand in ihrer weißen Kleidung durch eine Tür auf halber Höhe eines Ganges. Jetzt begriff ich, dass dies ein Krankenhaus war, begriff es, ohne mich im Zustand jener Senilität, in den der Verstand im Traum verfällt, vorher darüber gewundert zu haben. Ich folgte ihr durch die Tür und trat auf eine grellbeleuchtete Bühne vor ein riesiges, schattenhaft beleuchtetes studentisches Publikum. Meine Beute – wirklich? Oder eher mein Gral? –lag dort nackt auf einer Rollbahre, während ein Arzt mit dem Finger auf ihre Brüste und Scheide deutete und Unverständliches dozierte. Hier hatte ich nichts zu suchen. Ich schämte mich wie ein Kind. Schwitzend und vor Panik fröstelnd wachte ich auf. Sofort fiel mir ein, was Ted MacKey am Nachmittag gesungen hatte:
     
    I went down to St. James Infirmary
    And I saw my baby there.
    She was stretched out on a long white table
    So still, so cold, so bare.
     
    Wie gesagt, Träume sind Schäume. Dieser jedoch kam ziemlich nahe an das heran, was gleich am nächsten Tag geschah. Ungefähr um vier Uhr nachmittags war ich im Supermarkt, um ein paar Dinge zu besorgen, die ich

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