Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
deinen Zustand gesagt hat.«
»Er kann noch nichts Genaues sagen, solange meine Eltern zusammenleben, weil die familiäre Situation so belastend für mich ist.«
»Wirklich? Heißt das, deine Eltern werden nicht länger zusammenwohnen?«
»Nein, aber sie haben sich deswegen gestritten. Wenigstens reden sie miteinander.«
Kass und Max-Ernest waren gezwungen, eine Minute lang still zu sein, weil die Bibliotheksaufsicht ihnen finstere Blicke zuwarf. Aber als sie wegging – die freiwilligen Aufsichtspersonen wechselten sich ab –, verloren sie keine unnötige Zeit mehr und schlugen das Notizbuch auf.
Jetzt war es ihnen klar, dass das Notizbuch nicht unbeschrieben war, sondern die Handschrift des Magiers trug. Es war nur so, dass das Oberste zuunterst war oder besser gesagt dazwischen. Der flüchtigen Schrift nach zu urteilen, war der Magier in großer Eile gewesen. Was immer er geschrieben hatte, musste sehr wichtig sein.
Max-Ernest rutschte dicht an Kass heran, während sie ihm leise vorlas. Von Satz zu Satz wurde ihre Miene ernster.
Lieber Leser,
nun, da Du diese Zeilen liest, weiß ich zwei Dinge über dich. Du bist mutig genug, dieses Notizbuch in Händen zu halten, ein Notizbuch, nach dem Schurken auf der ganzen Welt suchen. Und du bist schlau genug, ein Rätsel zu lösen, ebenjenes Rätsel, das am Anfang dieses Notizbuches steht. Beide Eigenschaften wirst du in den kommenden Tagen brauchen. Mein Leben ist in Gefahr. Und aus diesem Grund schreibe ich dies. Nein, ich fürchte nicht den Tod – ich bin ein alter Mann und habe Schlimmeres durchgemacht –, aber ich möchte nicht sterben, ohne ein altes Unrecht wiedergutzumachen. Kennst Du das Sprichwort, wonach Unwissenheit ein Segen ist? Lass es Dir mal durch den Kopf gehen. Manche Geheimnisse sind nicht dazu gedacht, dass man sie kennt – aber wenn man sie kennt, kann man sie nie wieder vergessen. Falls bestimmte Leute herausfinden sollten, dass Du von jenen Dingen, von denen ich nun sprechen werde, Kenntnis hast... Lass mich nur so viel sagen: Gewiss wäre es das Sicherste für Dich, wenn Du hier und jetzt aufhörst zu lesen und dieses Notizbuch möglichst weit weg bringst. Falls Du jedoch weiterliest, so möchte ich Dich bitten, meine Geschichte niemandem zu erzählen.
An dieser Stelle legte Kass das Notizbuch weg und sah Max-Ernest an. Er war immer noch ungewöhnlich still. »Und?«, fragte Kass erwartungsvoll. »Was, und?«, fragte Max-Ernest zurück. »Und, soll ich weiterlesen?« »Er drückt sich so seltsam aus«, sagte Max-Ernest, als wäre das eine Antwort auf ihre Frage. »Vielleicht ist er ein Ausländer.« »Heißt das nun Nein, ich soll nicht weiterlesen?« »Nein, es heißt nicht Nein.« »Dann heißt es Ja?« »Ja, ich denke schon.« »Oh. Na, dann lese ich wohl besser weiter«, sagte Kass. »Ich dachte nur, falls es dir zu gefährlich wäre –« »Ich habe keine Angst«, sagte Max-Ernest. »Ich finde nur, dass er sich seltsam ausdrückt.« »Ich habe auch keine Angst.« »Dann lies weiter.« »Okay, dann mache ich das.« Kass nahm das Notizbuch und räusperte sich laut, wie Großvater Larry es immer tat, bevor er anfing, eine Geschichte zu erzählen (aus irgendeinem Grund war ihre Kehle wie ausgedörrt), und dann begann sie zu lesen...
Obwohl es mir aus naheliegenden Gründen widerstrebt, werde ich wohl oder übel mit der Geschichte des Magiers fortfahren. Denn, weißt du, seine Geschichte trifft mich im Innersten. Ja, ich kann ohne Übertreibung behaupten, dass es meine Geschichte ohne seine gar nicht gäbe.
Du und ich, wir werden Kass und Max-Ernest über die Schulter schauen. Bevor wir das tun, schlage ich jedoch eine Pause vor. Wenn du auf die Toilette gehen musst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Wenn du müde bist, geh schlafen und heb dir das folgende Kapitel für morgen auf. Denn für die Geschichte des Magiers musst du alle deine Sinne beisammenhaben und bei klarem Verstand sein.
Kapitel zwölf
Die Geschichte der Bergamo-Brüder
Teil eins
B ist du bereit? Frisch und ausgeruht? Wach und munter? Oder hast du einfach umgeblättert, weil du es nicht erwarten konntest?
Falls dem so ist, nur noch ein Ratschlag: Mit der Taschenlampe unter der Bettdecke lesen ist eine gute Möglichkeit, die besonders schwierigen und gefährlichen Stellen eines Buches zu überstehen. Des Weiteren schlage ich vor, dass du einen kleinen Imbiss bereithältst. Oder wenigstens Kaugummi. Ansonsten kann es passieren, dass du auf deinen
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