Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
Tigerin verfüttert werden sollten, und wenn Kass und Max-Ernest sich nicht beeilten, würden sie ganz sicher zu spät zum Unterricht kommen.
In einem Anflug von Kühnheit schlug Max-Ernest vor, die nachfolgenden Unterrichtsstunden zu schwänzen und weiterzulesen, aber Kass gab zu bedenken, dass sie damit ungewollt Aufmerksamkeit auf sich zögen. Außerdem hatten weder sie noch Max-Ernest Übung im Schuleschwänzen.
Also beschlossen sie, wohl oder übel bis nach dem Mittagessen zu warten und sich dann hinter der Turnhalle zu treffen.
Kapitel dreizehn 14 *
Die Geschichte der Bergamo-Brüder
Teil zwei
Z ur Mittagsstunde war Kass so begierig darauf, in dem Notizbuch weiterzulesen, dass sie nicht einmal die Polizeifahrzeuge und Feuerwehrautos vor dem Schulhaus bemerkte.
Kannst du dir das vorstellen? Die womöglich erste Katastrophe in der Geschichte ihrer Schule, und sie bekam sie nicht mit! Was soll ich sagen – sogar ein Überlebenskünstler ist hin und wieder abgelenkt.
Ich verspreche dir, ich werde später noch auf die Polizeiautos zurückkommen und auf das schreckliche Vorkommnis, das sie erahnen lassen. Fürs Erste möchte ich jedoch bei Kass bleiben. Ich bin sicher, du bist genauso erpicht darauf wie sie, mehr von der Geschichte des Magiers zu erfahren.
* Natürlich glaube ich nicht wirklich, dass die Zahl Dreizehn Unglück bringt – aber unter den gegebenen Umständen möchte ich lieber kein Risiko eingehen.
Falls du aus irgendeinem Grund beim Lesen unterbrochen worden bist – vielleicht, weil eine missgünstige Person dich beim Lesen ertappt hat, obwohl du eigentlich deine Hausaufgaben machen oder »frische Luft schnappen und ein bisschen Sonne abkriegen« solltest –, möchte ich dir nur kurz in Erinnerung rufen, dass Pietro und sein Bruder, nachdem sie zufällig auf den Zirkus gestoßen waren, mit den Schaustellern weitergezogen sind.
Sobald Max-Ernest zum vereinbarten Treffpunkt hinter der Turnhalle gekommen war, las Kass einfach an der Stelle weiter, an der sie aufgehört hatten.
Nach einigen Wochen, in denen wir jede Aufgabe erledigten, die man uns auftrug, sei es das Ausmisten von Elefanten-Dung oder das Anheizen des Publikums, ließ der Zirkusdirektor uns eine eigene Nummer zusammenstellen. Dabei ging es nicht nur um Kartentricks, sondern auch ums Gedankenlesen – was perfekt passte, weil mein Bruder und ich uns in-und auswendig kannten und uns schon immer telepathisch verständigt hatten. Hinzu kommt, und das wird im Folgenden noch eine wichtige Rolle spielen, dass wir beide eine Fähigkeit besaßen, die sich Synästhesie * nennt – die Vermischung der Sinne.
* Wenn du wissen willst, wie man Synästhesie ausspricht: Es klingt wie Anästhesie, nur mit einem Syn am Anfang.
Bei Leuten wie meinem Bruder und mir vermischen sich im Kopf Geräusche, Farben und sogar Gerüche. Wenn ich ein Kratzen auf Metall höre, sehe ich ein leuchtend gelbgrünes Licht. Quietschende Reifen sind orangerot. Die meisten Glocken sind blau, aber wenn ich Blau sehe, höre ich nicht die Glocken, sondern rieche Seife. Es gab einmal eine ganz bestimmte Frau, die musste nur ein einziges Wort sagen und ich sah eine dunkle graue Wolke vor mir und fühlte mich, als müsste ich im kältesten See der ganzen Welt ertrinken – aber ich greife meiner eigenen Geschichte voraus. Diese Frau tritt etwas später auf. Ach, wäre sie doch nie in mein Leben getreten! Was uns bei der Zirkusnummer half, war der Umstand, dass für Luciano und mich Zahlen und Buchstaben bestimmte Farben hatten. Die Eins war zum Beispiel grün, die Zwei war purpurrot, die Drei war gelb. Der Buchstabe X war rot, Y grau und Z türkis. * Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als mein Bruder und ich zum ersten Mal begriffen, dass andere Menschen die Buchstaben nicht in der Weise wahrnehmen, wie wir es tun. Damals waren wir sieben Jahre alt und eine Freundin aus der Nachbarschaft malte mit uns. Sie schrieb voller Eifer ihren Namen und wir erklärten ihr immer wieder, dass sie die falschen Farben benutzte. Ich schäme mich, sagen zu müssen, dass wir nicht sehr nett zu ihr waren. Die Freundin fing so laut zu weinen an, dass unsere Mutter herbeieilte und uns ermahnte, dass das Mädchen sich selbst die Farben aussuchen dürfe.
* Buchstaben in Farbe zu sehen, wird manchmal auch Audition colorée genannt – farbiges Hören.
Bei unserer Zirkusnummer war es kinderleicht für uns, in Farbensprache zu reden. Wenn ich ein Mädchen im Publikum fragte,
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