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Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Titel: Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pseudonymous Bosch
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mussten Kass und Max-Ernest jedes Mal die Augen schließen und daran riechen. »Denkt daran, was man als Geschmack beschreibt, ist in erster Linie das Aroma«, sagte Madame Mauvais. »Die menschliche Zunge kann nur vier Geschmacksrichtungen erkennen – oder sind es fünf?«
    »Fünf«, sagte Dr. L. »Wenn ich mich nicht täusche, haben Wissenschaftler jüngst die Geschmacksrichtung fett identifiziert.«
    Nachdem sie an ihrem Essen gerochen hatten, sollten sie es von allen Seiten aus der Nähe betrachten, um auch die Feinheiten in Farbe und Form schätzen zu lernen.
    »Sollen wir auch hören?«, fragte Max-Ernest, der förmlich an Madame Mauvais’ Lippen hing.
    »Nun, das kommt darauf an, ob das Gericht ein Geräusch von sich gibt oder nicht, mein Süßer«, erwiderte sie. »Versuch mal zu lauschen.«
    Max-Ernest neigte brav den Kopf über den Teller. Kass, die ihm gegenübersaß, verdrehte angewidert die Augen.
    Ihr fiel auf, dass Madame Mauvais trotz ihrer Lobpreisungen so gut wie gar nichts aß. Sie nippte nur an einem langstieligen Glas Rotwein – zumindest nahm Kass an, dass es Rotwein war. Er hatte zwar die passende Farbe, wirkte aber seltsam dickflüssig.
    Das einzige Gericht, von dem Madame Mauvais kostete, war zugleich das letzte. Es bestand aus einer kleinen zitternden Masse, die wie ein Herz pulsierte. Es wurde nur ihr allein serviert und sie beschrieb es nicht wie die anderen Gerichte vorher. Stattdessen spießte sie es in einer raschen, schwungvollen Bewegung mit einem Essstäbchen auf und steckte es in den Mund.
    Dann seufzte sie zufrieden, und Kass glaubte, einen neuen Glanz auf den blassen Wangen ihrer Gastgeberin zu entdecken.
    »Ich habe einen empfindlichen Magen«, erklärte Madame Mauvais. »Es gibt nur wenige Gerichte, die ich vertrage. Und sie müssen sehr, sehr frisch sein.«
    ***
    Nach dem Essen widmete Madame Mauvais ihre ganze Aufmerksamkeit den Gästen. »Nun, ihr lieben jungen Leute. Ich frage mich, ob ihr wisst, was in dem Notizbuch steht. Habt ihr einen Blick hineingeworfen?«
    »Nein, haben wir nicht«, antwortete Kass, bevor Max-Ernest etwas sagen konnte.
    »Ich weiß zwar nicht genau, was drinsteht, aber ich rechne mit dem Schlimmsten«, fuhr Madame Mauvais fort. »Wisst ihr, Pietro war ein lieber, lieber Freund von mir. Aber ich fürchte, er war sehr krank. Krank im Kopf, meine ich.«
    »Krank im Kopf? Wollen Sie behaupten, er war verrückt? Den Eindruck hatte ich nicht«, protestierte Kass. Sie fühlte sich beinahe persönlich beleidigt.
    »Oh, also hast du es doch gelesen?«
    Kass errötete und sagte kein Wort.
    »Deine Ohren, meine Liebe – denk über mein Angebot nach«, zirpte Madame Mauvais. »Aber um deine Frage zu beantworten, ja, es bekümmert mich, sagen zu müssen, dass er dem Wahn verfallen war. Er bildete sich ein, einen Zwillingsbruder zu haben. Und er hat sich diese unglaubliche Geschichte ausgedacht, dass dieser Bruder aus dem Zirkus entführt wurde, als sie noch klein waren.«
    Kass und Max-Ernest warfen sich rasch einen Blick zu.
    »Ah, ich merke schon, ihr kennt die Geschichte. Genau das habe ich befürchtet. Er hatte eine blühende Fantasie und die meiste Zeit seines Lebens wusste er das auch. Erst in den letzten Lebensjahren war er felsenfest davon überzeugt, dass seine Hirngespinste der Wahrheit entsprachen . . . Was ist denn mit unserem Doktor los?«, fragte Madame Mauvais. Sie wandte sich Dr. L zu, der auffallend schweigsam war, seit sie die Rede auf das Notizbuch gebracht hatte.
    Sein Gesicht war verzerrt, als hätte er sich an etwas verschluckt, aber er wehrte ihre Besorgnis ab. »Mir geht es gut«, sagte er und führte seine Serviette zum Mund.
    »Nun denn«, fuhr Madame Mauvais fort. »Als ich Pietro davon zu überzeugen versuchte, dass sein Bruder nur in seiner Vorstellungskraft existiert, wurde er gewalttätig – er beschuldigte mich allen Ernstes, ich hätte seinen Bruder geraubt! Ist das die Möglichkeit? Er schien gar nicht zu bemerken, dass ich viel zu jung bin, um in seiner Kindheit so etwas tun zu können.«
    Madame Mauvais kicherte und strich sich über die Stirn. »Viel zu jung«, wiederholte sie.
    Konnte das stimmen?, fragte sich Kass. Hatte Max-Ernest recht, was Madame Mauvais anging? Hatte sie diese Frau womöglich zu streng beurteilt? Und das nur, weil Madame Mauvais ein wenig unterkühlt und seltsam war? Oder – dieser Gedanke schoss Kass plötzlich durch den Kopf – lag es daran, dass Max-Ernest gesagt hatte, Madame Mauvais sei die

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