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Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Titel: Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pseudonymous Bosch
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waren Kinder. Und sie hatten gerade etwas so Scheußliches gesehen wie noch nie in ihrem jungen Leben (obwohl ich davon überzeugt bin, dass der Anblick von Madame Mauvais’ Hand jeden erschreckt hätte, egal, wie alt er wäre). Verurteile die beiden also nicht vorschnell, wenn ich dir nun sage, dass sie nicht lange zögerten, bevor sie ihr das Notizbuch aushändigten.
    Einen Augenblick lang sah Max-Ernest Kass an. Er sagte kein Wort, aber sein Gesichtsausdruck war umso beredter. Er besagte in etwa Folgendes: Okay, du hattest recht, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht und jetzt sitzen wir ganz übel in der Patsche, ich habe Angst, was sollen wir tun?
    Kass nickte und erwiderte wortlos in etwa dies: Ja, ja, stimmt alles, ich habe auch Angst, jetzt beeil dich lieber und gib Madame Mauvais das Notizbuch, bevor sie uns umbringt.
    (Mal ehrlich, was, bitte, hätten sie sonst tun sollen?)
    Dann, aber erst dann, zog Max-Ernest das Notizbuch aus seiner Tasche.
    Madame Mauvais nahm es, ihre Hände in den frisch übergestreiften Handschuhen zitterten. »Endlich! Wie lange habe ich darauf gewartet!«
    »So, jetzt haben Sie, was Sie wollten. Jetzt können Sie uns gehen lassen«, sagte Kass und machte Max-Ernest ein Zeichen aufzustehen.
    »Ihr beide geht nirgendwohin«, sagte Madame Mauvais scharf.
    Sie klappte das Notizbuch auf und warf einen kurzen Blick auf die ersten Zeilen. Dann blätterte sie mit wachsender Ungeduld die leeren Seiten durch, so ähnlich, wie auch die Kinder es getan hatten, als sie das Notizbuch zum ersten Mal aufschlugen.
    »Ist das alles? Was für eine Trickserei steckt dahinter?«
    »Darf ich mal sehen?«, fragte Dr. L.
    Er nahm das aufgeschlagene Notizbuch, las rasch die Zeilen auf der ersten Seite und ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
    Dann gab er Madame Mauvais das Notizbuch zurück. »Ich denke, das Buch birgt so manche Überraschung – wenn man die Seiten von unten betrachtet.«
    Madame Mauvais sah ihn fragend an. »Er hat das Geschriebene versteckt?«
    Dr. L nickte.
    »Dann stimmt es also. Es ist wirklich sein Buch«, hauchte Madame Mauvais aufgeregt.
    Ungeduldig fingerte sie am Notizbuch herum, bis die Ziehharmonikablätter ausgebreitet vor ihr lagen. Rasch überflog sie die Seiten, als suche sie nach einem ganz bestimmten Wort oder einem bestimmten Ausdruck. Als sie auf der letzten Seite angelangt war, blickte sie wütend auf.
    »Wo ist der Rest? Was habt ihr damit gemacht?«
    »Wir wissen es auch nicht«, sagte Max-Ernest nervös. »Wir nehmen an, er hat die Seiten herausgerissen...«
    »Lügner!«, schrie Madame Mauvais. »Ihr habt es gelesen. Und es vor mir versteckt!«
    Max-Ernest duckte sich ängstlich. Da war nichts mehr von dem begeisterten Jungen, der er vor kaum einer Stunde noch gewesen war.
    Kass versuchte, sich schützend vor ihn zu stellen. »Er sagt die Wahrheit. Mehr Seiten hatte das Buch nicht.«
    Madame Mauvais schien jede Kontrolle über sich verloren zu haben. Sie hörte kaum, was Kass sagte. »Das Geheimnis. Ich weiß genau, er hat es entdeckt. Er war so nah dran, er muss es entdeckt haben. Er hat es vor uns geheim gehalten. Aber damit ist jetzt Schluss! Und das gilt auch für euch. Ich werde das nicht länger zulassen!«
    Sie packte Kass und Max-Ernest so fest an den Oberarmen, wie man es ihren zerbrechlichen Fingern gar nicht zugetraut hätte.
    »Sagt mir sofort, was es ist«, zischte sie. »Was ist das Geheimnis?«
    Wie auf Stichwort tauchte Daisy (die Kass seit ihrer Ankunft nicht mehr gesehen hatte, die jedoch, wie ihr nun klar wurde, ständig auf der Lauer lag) am Eingang des Zelts auf und versperrte mit ihrem ausladenden Körper den Weg nach draußen.
    Mehrere Bedienstete traten näher an den Tisch heran und kreisten Kass und Max-Ernest ein. In dem gespenstischen Licht wurde aus ihrer herrlich gebräunten Haut eine undurchdringliche Schale. Und ihr sonst so freundliches Lächeln verwandelte sich in eine versteinerte Miene.
    Kass’ erster Eindruck von diesem Ort war richtig gewesen: Es war ein Gefängnis.
    Bist du schon einmal stundenlang in einem Zimmer eingesperrt gewesen, weit weg von zu Hause, bei Leuten, von denen man annehmen musste, dass sie zu einem Mord fähig waren, wenn nicht sogar zu noch Schlimmerem?
    Ich auch nicht.
    Vielleicht ist das der Grund, warum ich darüber schreiben kann, ohne in Tränen auszubrechen.
    Leider hatten Kass und Max-Ernest nicht dieses Glück. Sie erlebten die Gefangenschaft am eigenen Leib.
    Zehn Minuten

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