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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Papp
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nur, um ihren Kollegen vor Problemen zu bewahren. Sobald man in der Chefetage erfuhr, dass die Leiche viel zu spät in der Gerichtsmedizin eingelangt wäre, gäbe man ihm sofort die Schuld dafür. Er hatte die strikte Anweisung gegeben, dass am Tatort nichts verändert werden dürfte. Je mehr Zeit sie gewann, desto besser war das auch für ihn.
    Er war also unsozial, ungehobelt und grantig. Wenn man ihn allerdings ein wenig kannte (viel gab er ja nicht von sich preis), musste man den alten Brummbären doch irgendwie auch schätzen. Zumindest Respekt hatte er verdient. Sie kannte niemanden, der auch nur annähernd so belesen war wie er. Während andere sich im Freibad sonnten, beim Heurigen ihre ›Achterln‹ leerten oder sich im Fernsehen irgendwelche Serien ansahen, saugte er das Wissen der Wiener Bibliotheken in sich auf. Lediglich um die Abteilung für Belletristik und Liebesromane machte er einen großen Bogen.
    »Hanni, lass uns lieber über die Leute in dieser Gegend reden! Wenn deine Schwester schon einen Eingeborenen geheiratet hat, hast du sicher Insider-Informationen.«
    »Sag nichts gegen die Oberösterreicher! Sie sind bodenständige Leute. An ihnen gibt es nichts auszusetzen«, betonte sie. »Anständig, fleißig und geradlinig. Nur am Abend, da trinken manche Mannsbilder einfach zu viel. Wenn du als Frau zur später Stunde unvorbereitet in ein oberösterreichisches Landgasthaus marschierst, kann das traumatisch enden.«
    »Die Sauferei ist ein gesamtösterreichisches Problem. Wir sind in einem Land, wo die Bevölkerung Kindern früher einen ›Mohnzuzler‹ in den Mund gesteckt hat. In ferner Zukunft werden kommende Generationen in der Schule einmal lernen, dass in dieser Gegend der Homo Austriacus Cervisius lebte, eine Nebenform des Homo Sapiens, fleischfressend von Natur. Der Gang war noch nicht ganz aufrecht, es gab noch keine einheitliche Hochsprache, aber er war hundertprozentig davon überzeugt, das Zentrum der Welt zu sein.«
    Sie wollte Remmel keine Chance geben, wieder einmal wie ein Rohrspatz zu schimpfen. Er würde am Ende ohnehin jeden, der ihm nicht in den Kram passte, standrechtlich erschießen lassen wollen. Hastig begann sie von ihrem Schwager zu erzählen, um das Thema zu wechseln.
    »Seine Eltern haben einen Hof, er macht aber etwas mit Software und arbeitet in Linz. Sein Dialekt ist gewöhnungsbedürftig. ›I woa grod wos tringa und muass jetz aufs Heisl.‹ «
    »Verschon mich bitte mit Sprachgewohnheiten!«
    »Du bist meinem Schwager sofort sympathisch, wenn du auf seinen 3er BMW oder auf die Feuerwehr zu sprechen kommst, bei der er seit seiner Jugend dabei ist. ›Wos mia gheart, gheart mir!‹ sagt er immer, er ist die Sparsamkeit in Person. Zu jedem Geburtstag und Jahrestag bekommt meine Schwester einen Blumenstrauß. Der Florist liegt am Weg zum Baumarkt, den er jeden Samstag auf der Suche nach Billigprodukten abgrast. Aber ›Für Bleamlen wos ausgebn? I hob jo kan Gödscheissa daham!‹ Der Nachbar beschwert sich zwar drüber, weil er den Strauß von der Wiese rupft, aber ›des Oarschbeidl hot do goa nix zu möldn‹. Meine Schwester hat es nicht immer leicht. Am Land zählt ein ›Zupferl‹ oft halt doch noch mehr als eine ›Mumu‹. Vor dem Baby war ihr das noch nicht so klar. Doch all die hochwertigen gesellschaftlichen Verpflichtungen, wie Kegeln, Kartenspielen, Feuerwehr oder Paintball wegen dem Nachwuchs aufgeben? Niemals! Verzicht für die Familie bedeutet hierzulande in manchen Kreisen immer noch, dass die Frau zurücksteckt. ›A Mann, ders weit bringa wü, braucht a Weib des hinter earm steht. Sie hot jo a wos davo, jede hot von Natur aus liaba an echten Kerl daham ois an Hosnscheißa.‹ Ich könnte bei solchen Aussagen kotzen.«
    Remmel entgegnete dem nichts mehr. Er war in eine seiner berühmten Nachdenkphasen verfallen. Er starrte aus dem Fenster und ließ die unzähligen Fichten und grünen Felder einfach an sich vorbeiziehen. Nach einiger Zeit kamen sie zur Abzweigung nach Reichenstein. Sie fuhren an einem Bach entlang durch ein Waldgebiet, bis die Burgruine über dem Dorf thronend sichtbar wurde. Obwohl sie halb verfallen war, ließen sich die Spuren privater Restaurierungsarbeiten erkennen, die dem Zahn der Zeit entgegenwirken sollten. Aus der Ferne erblickte Hanni auch die Mauern des Renaissance-Umbaus, dem Trakt der Ruine, an dem auch die Leiche an diesem Morgen gefunden worden war.
    Kurz bevor sie das Ziel erreicht hatten, beendete Remmel seine

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