Der nasse Fisch
neun in der Burg zu sein. Fast hätte er sich erschrocken,
als er die Tür zu seinem Büro öffnete und am Schreibtisch im Vorzimmer eine junge Frau sitzen sah, die gelangweilt mit einem
Bleistift spielte. Blonde Fransen hingen ihr in die Stirn, über etwas zu dünnen Lippen ragte eine etwas zu große Nase.
Sie sprang auf, als er hereinkam.
»Erika Voss, Herr Kommissar«, sagte sie dienstbeflissen und streckte ihre Hand aus. »Ich bin Ihre neue Sekretärin!«
Rath hängte seinen Mantel an die Garderobe.
»Haben Sie für Herrn Roeder gearbeitet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin neu hier, Herr Kommissar.«
Wen hatte Zörgiebel ihm denn da geschickt? Rath schätzte sie auf höchstens zwanzig. Sie verströmte den unverwechselbaren Duft
von Kölnisch Wasser. Charly roch besser. »Soso. Macht ja nichts. Hat schon jemand angerufen?«
»Nein, Herr Kommissar. Kann ich etwas für Sie tun, Herr Kommissar?«
»Können Sie Kaffee kochen?«
Sie konnte. Kurz darauf dampfte eine Tasse auf seinem Schreibtisch. Die Tür zum Vorzimmer hatte er geschlossen, er wollte
seine Ruhe haben, wollte nachdenken. Langsam musste er sich wieder in die laufenden Ermittlungen einklinken, so unsinnig sie
auch waren. Erika Voss brauchte Beschäftigung. Und Gennat durfte nicht merken, dass er ein Phantom jagte, dass es den einen Mörder, der Jänicke und Wilczek auf dem Gewissen hatte, gar nicht gab.
Die Ruhe währte nicht lange, er hörte Tumult im Vorzimmer.
Eine laute Stimme.
»Ich muss den Herrn Kommissar aber sprechen.«
Fräulein Voss versuchte offensichtlich, ihn abzuschirmen. Gut so.
Es klopfte, und sie steckte ihre blonden Fransen durch die Tür.
»Herr Kommissar, da draußen steht ein Herr Roeder, der sagt, das hier wäre sein Büro …«
Roeder? Was wollte der denn noch hier?
»Schicken Sie den Mann mal zu mir herein.«
Erika Voss nickte und winkte Erwin Roeder durch. Der Mann war kleinwüchsiger, als Rath gedacht hätte. Sein Vorgänger hielt
einen Hut in der Hand und schaute sich um.
»Na, sieht ja alles noch so aus wie früher«, meinte er.
Dann erst streckte er seine Hand aus. »Roeder«, sagte er, »Erwin Roeder. Ich habe früher hier gearbeitet.«
»Ich weiß. Rath, Gereon Rath. Was kann ich für Sie tun, Herr Roeder?«
»Nun, mein Abschied aus dem Polizeidienst kam etwas plötzlich, und in den letzten Wochen hatte ich viel zu tun. Sie wissen,
die Schriftstellerei ist doch sehr zeitraubend, und …«
»Kommen Sie doch bitte zur Sache, Herr Kollege.«
»Nun, ich weiß nicht, wie lange Sie hier arbeiten, Ihr Name steht ja schon an der Tür. Wenn Sie Ihre Sachen bereits in meinen
Schreibtisch geräumt haben, werden Sie es ja gewiss gefunden haben.«
»Was, Herr Roeder?« Der Knabe ging ihm langsam auf die Nerven.
»Die Fotos, Herr Rath. In meinem Schreibtisch habe ich ein paar Fotos zurückgelassen, die ich jetzt gern abholen möchte. Wichtige
Fotos.«
Rath konnte sich an keine Fotos erinnern. So gründlich hatte er die Schubladen allerdings auch noch nicht durchsucht.
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Dürfte ich mal kurz …« Roeder trat einen Schritt nach vorn und machte Anstalten, eine Schreibtischschublade zu öffnen.
» Unterstehen Sie sich! « Rath war lauter geworden, als er wollte. Roeder zuckte zurück und schaute ihn entrüstet an.
»Das ist jetzt mein Büro. Und mein Schreibtisch«, fuhr Rath fort, leiser, aber immer noch bestimmt. »Ich kann gern nachschauen, ob Sie hier etwas zurückgelassen
haben. Falls Sie es wünschen.«
»Ich bitte darum«, sagte Roeder und schaute zur Seite wie ein beleidigter Tenor. »Die Bilder müssten sich in einer schwarzen
Schachtel befinden.«
Schnell wühlte sich Rath durch den Schreibtisch. Oben fand er nur seinen Krempel, ein paar Notizen zum Fall Wilczek, Stifte
und Papier, aber in der unteren großen Schublade wartete die Überraschung. Eine große schwere Pappschachtel, wie Roeder es
gesagt hatte. Und versteckt dahinter eine kleine Pistole. Er hätte sie gar nicht bemerkt, hätte er die Schachtel nicht aus
der Schublade heben wollen.
Eine Lignose!
Er wusste sofort, welche Pistole das war, und er kombinierte in Sekundenschnelle: Bruno wollte ihn reinlegen! Wahrscheinlich
hatte er den Verlust des Notizbuchs bemerkt und seine Schlüsse gezogen. Wenn Rath schon das Buch hatte, musste er ihm nur
noch die Pistole unterjubeln, und er könnte Gennat den perfekten Mordverdächtigen präsentieren.
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