Der nasse Fisch
er sich auch vor. Augen zu und durch! Nein, besser: Augen auf und durch!
Bruno war schon in einer seltsam gereizten und aufgekratzten Stimmung zum Essen erschienen, Emmi Wolter wirkte wegen ihres
gemeinsamen Geheimnisses auffallend nervös. Rath selbst war der Appetit vergangen, aber er versuchte, es sich nicht anmerken
zu lassen. So gut es ging, würgte er die Bratkartoffeln und die Spiegeleier hinunter. Dabei schmeckten sie nicht einmal schlecht.
Seine Wortbeiträge beschränkten sich auf vereinzelte löbliche Kommentare zum Essen, die im Widerspruch zu seinem appetitlosen
Herumgestocher standen. Und einmal bat er Emmi Wolter um das Salz. Sie reichte ihm den Zuckertopf.
Ihr Mann bemerkte es. Sie war untröstlich über ihren Irrtum.
»Mach dir nichts draus, Emmi«, sagte Bruno, »das passiert. Selbst ein Kriminalbeamter kann schon mal ein paar Dinge vertauschen,
nicht wahr, Gereon?«
Vertauschen? Rath horchte auf.
Hatte Wolter die richtigen Schlüsse gezogen? Dann waren sie beide gleich schlau: Jeder wusste, dass der andere Dreck am Stecken
hatte, keiner kannte Details. Aber der Onkel ahnte wohl, dass der Tod von Josef Wilczek einige Ungereimtheiten aufwies, in
die ein Kriminalkommissar namens Gereon Rath verwickelt sein musste.
Vielleicht sah Rath aber auch nur Gespenster, und die Bemerkung hatte überhaupt nichts zu bedeuten. Er ging einfach nicht
darauf ein. »Danke«, sagte er und nahm das Salzfass entgegen, das Emmi Wolter ihm reichte.
»Was machen denn eure Ermittlungen?«, fuhr Wolter fort, nachdem er seinen Bissen hinuntergeschluckt hatte. »Schon eine Idee,
wer Jänicke umgebracht haben könnte? Oder diesen Ganoven, wie hieß er noch gleich?«
»Wilczek.«
»Genau. Soll derselbe Mörder sein, erzählt man sich?«
»Sieht so aus. Zumindest kamen die Kugeln aus derselben Waffe.«
Wolter nickte.
»Wenn wir die Waffe bei irgendwem fänden, dann hätten wir wahrscheinlich auch den Mörder«, sagte Rath. Der Satz war ein Versuchsballon.
Aber der Oberkommissar war zu abgebrüht, um sich in die Karten schauen zu lassen. »Gar nicht so einfach, eine Waffe zu finden
in einer Millionenstadt«, sagte er nur.
»Wenn Jänickes Notizbuch irgendwo auftaucht, wären wir auch einen Schritt weiter«, sagte Rath. »Das hat ihm sein Mörder wahrscheinlich
abgenommen. Könnte das Motiv enthalten.«
Er wusste, dass Bruno noch nicht in sein Arbeitszimmer geschaut hatte. Er konnte den Verlust des Buches noch nicht bemerkt
haben. Es sei denn, Emmi Wolter hätte am Telefon von Raths nachmittäglichem Besuch geplaudert und Bruno hätte sie in seinem
Schreibtisch nachschauen lassen. Aber das sah nicht so aus. Ob Emmi Wolter ihrem Gespräch überhaupt folgen konnte? Rath bezweifelte
es.
»Wenn du mich fragst, war es einer von diesen Scheiß-Kommunisten.« Wolter klang entschieden, als er das sagte. »Wilczek ist
doch auch in so ’ner Kommunistengegend erschossen worden.«
»Wenn das immer so einfach wäre. Manchmal ist es auch jemand, den man gar nicht auf der Rechnung hat.«
»Und manchmal werden Mordfälle einfach ungelöst zu den Akten gestellt.«
»Nicht bei Gennat.«
»Auch der musste schon mal vor einem Fall kapitulieren.«
»Aber die Neugier treibt einen immer weiter, das kennst du doch«, sagte Rath. »Die Frage, warum ein Mensch sterben musste,
die lässt einen nicht los.«
»Manchmal ist es einfach besser, die Toten ruhen zu lassen. Nicht immer bekommt der, der einen Mord aufklärt, ein eigenes
Büro. Manchmal bekommt er auch nur Schwierigkeiten.«
»Jänicke kannte seinen Mörder.« Rath beobachtete Wolters Gesicht, während er das sagte. Er konnte keine Regung entdecken.
»Da muss einer ganz schön kaltblütig sein, einen Freund aus nächster Nähe abzuknallen, meinst du nicht?«
Wolter zuckte mit den Schultern. »Das Leben ist nicht immer so einfach, wie man denkt. Und was heißt schon Freundschaft? Nicht
jeder Bekannte ist gleich ein Freund. Ein Freund ist jemand, der einen niemals im Stich lässt. Jemand, der auch in schweren
Zeiten zu einem hält.«
Jetzt zuckte Rath mit den Schultern.
»Ich habe übrigens ein neues Zimmer«, sagte er nach einer Weile, »morgen werde ich euch nicht mehr zur Last fallen.«
»Oh.« Bruno wirkte überrascht. »Warum so eilig? Kannst du es nicht erwarten, von uns wegzukommen? Wir hatten uns fast an dich
gewöhnt, nicht wahr, Emmi?«
»Natürlich, Schatz.« Emmi Wolter war nicht ganz bei der Sache. Das Gespräch der Männer
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