Der nasse Fisch
Dann brachte er die Schaufel wieder zurück in den Bauwagen und wischte auch den Griff mit
dem Taschentuch ab. Alles, was er angefasst hatte, wischte er ab,selbst die lockeren Bretter im Bauzaun, nachdem er sie wieder gerade gerückt hatte. So, das war’s.
Das Blut auf dem Hof würde der Regen bis morgen früh hoffentlich beseitigt haben. Er beobachtete, wie sich das Wasser mit
der dunklen Flüssigkeit vermischte und sie in den Gully spülte.
Rath schaute an sich hinab. Sein dunkler Mantel glänzte vor Regenwasser, Matsch und Beton. Er versuchte, den Dreck abzureiben,
doch das war zwecklos, er verteilte ihn nur noch mehr. So wie er aussah, konnte er keinem Taxifahrer unter die Augen treten.
Er ging noch einmal zum Bauwagen. Der war nun sowieso aufgebrochen. Rath holte das Fahrrad heraus und begutachtete es. Im
Hinterrad war zu wenig Luft, doch für seine Zwecke würde es reichen.
Sein Blick wanderte noch einmal über die dunklen Fensterlöcher, die zum Hof hinausführten. Er war nicht sicher, ob ihm wirklich
niemand zugesehen hatte. Doch er war sicher, dass niemand bei dieser Dunkelheit sein Gesicht unter dem Hutschatten erkannt
hatte. Selbst wenn hier jemand wohnen sollte, der gern mit der Polizei sprach.
Er schob das Rad durch die Toreinfahrt. Immer noch kein Mensch auf der Straße. Er nahm Schwung und sprang auf. Das Rad holperte
über das Kopfsteinpflaster. Wenn er jetzt nicht von einem Kollegen angehalten würde, weil er ohne Licht fuhr, dann müsste
er in einer guten halben Stunde zu Hause sein.
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II
Inspektion A
11. bis 21. Mai 1929
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16
D er Regen trommelte immer noch auf das Autodach. Das Trommeln schwoll zu einem Rauschen an, als sich der Wagenschlag öffnete
und ein massiger Körper auf die schwarzlederne Rückbank sank. Mit mehr Schwung, als sein Gewicht hergab; Liang musste nachgeholfen
haben. Die Tür fiel mit einem satten Schnappen ins Schloss und würde sich erst wieder öffnen, wenn Johann Marlow das wollte.
Durch das sich ständig ändernde Muster der Regentropfen auf der Scheibe sah Marlow den dunklen Mantel Liang Kuen-Yaos, der
draußen im Regen stehen geblieben war und jeden Gedanken an Flucht einen frühen Tod sterben ließ.
Marlow blickte seinen Gast wortlos an. Der Mann hatte einen Trenchcoat übergeworfen, auf dem der Regen dunkle Spuren hinterlassen
hatte, aber darunter trug er nur einen Pyjama. Sein graues Gesicht hätte eine Rasur vertragen können, die Augen kündeten von
zu wenig Schlaf. Der Geruch von Alkohol, Schweiß und Regen breitete sich im Wagen aus. Trotz ihrer Müdigkeit tanzten die Augen
ängstlich hin und her. Die Stimme versuchte, die Angst zu überspielen, und klang ein wenig zu forsch.
»Was soll das? Warum holt Ihr Chinese mich mitten in der Nacht aus dem Bett? Ich muss morgen um sechs am Alex sein, ich brauch
meinen Schlaf!«
Marlow hatte sich einer daumendicken Zigarre zugewandt, der er in aller Ruhe die Spitze abschnitt. Er ließ das schnappende
Geräusch des Zigarrenschneiders wirken, bevor er antwortete. Sein Gast hatte schon einmal gesehen, wozu solch ein Gerät sonst
noch gut sein konnte.
»Ich hatte heute Besuch von einem deiner Kollegen, und ich frage mich, warum ich davon nichts wusste«, sagte er, ohne sich
von seiner Beschäftigung mit der Zigarre abzuwenden.
»Wie? Keine Ahnung. Kann nichts Offizielles sein. Die Razzia ist doch erst für morgen …« Er korrigierte sich nach einem Blick
auf die Uhr. »… für heute Abend geplant.«
»Keine Razzia, ein einzelner Bulle. Rath, Gereon Rath. Sagt dir der Name etwas?«
Der Mann schien nachzudenken. Jedenfalls zog er den Mund schief. Doch es folgte nur ein Achselzucken.
»Im Drogendezernat arbeitet er jedenfalls nicht.«
»Ich bezahle dich nicht nur dafür, dass du mir die Drogenfahnder vom Hals hältst. Ich hoffe, du kriegst noch ein bisschen
mehr mit am Alex.«
»Wer hat Ihnen denn gesteckt, dass die Sitte eine Razzia plant? Ich kann doch nicht jeden Kollegen im Präsidium kennen. Wahrscheinlich
ein Neuer.«
»So viele neue Kollegen, die aus dem Rheinland zugewandert sind, kann es am Alex doch nicht geben. Sperr mal deine Ohren auf!«
»Rheinländer?« Der Mann stutzte. »Vielleicht hab ich doch schon was von dem Kerl gehört. Wie heißt er noch gleich?«
»Rath. Gereon Rath.«
Erneutes Achselzucken. »Bin mir nicht ganz sicher, könnte bei der Sitte sein. Die haben einen neuen Kollegen aufs Auge gedrückt
bekommen. Aus
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