Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
ganzen Mist. Aber nicht jetzt.
    »Ich liege tatsächlich noch im Bett«, sagte er. Du liebe Güte, fühlte er sich beschissen! Warum nur hatte sie anrufen müssen?
    »Allein, hoffe ich.«
    »Du weißt doch, dass ich Damen immer schon in aller Herrgottsfrühe aus dem Haus schmuggle.«
    Na, immerhin, sie lachte. Er hörte ein Geräusch, das wie Autohupen klang. Natürlich würde sie ihn niemals vom Büro aus anrufen,
     nicht mit so vielen hellhörigen Bullen in der Nähe. Wahrscheinlich ein öffentlicher Fernsprecher irgendwo am Alex. Ihre Stimme
     wurde leiser. »Schade, dass du mich heute Morgen nicht rausschmuggeln musstest«, flüsterte sie.
    Ihre Stimme! Er hatte mehr Sehnsucht nach Charly, als er sich eingestehen wollte. Vor allem mehr, als er im Augenblick zulassen
     konnte. Er hatte andere Dinge im Kopf. »War vielleicht ganz gut so«, sagte er und klang dabei härter, als er wollte. »Ich
     hatte viel Schlaf nachzuholen.«
    »Gestern Morgen hast du nicht den Eindruck erweckt, du bräuchtest viel Schlaf.«
    Ihre Anspielungen machten ihn verrückt. Warum konnte sie das nicht lassen? »Tja, manchmal bin ich ein ganz schöner Angeber«,
     sagte er.
    »Heute wohl nicht. Du klingst eher wie jemand, der nicht gestört werden möchte.«
    »Quatsch«, protestierte er, obwohl er wusste, dass sie Recht hatte. »Ich bin nur noch etwas müde. Ich hab im Moment einfach
     viel um die Ohren.«
    »Ich weiß«, sagte sie, »gestern die Besprechung, heute eure Razzia. Ich hab auch genug zu tun. Trotzdem wäre ich jetzt gern
     bei dir.«
    »Ich auch bei dir«, echote er eine Antwort, von der er wusste, dass sie nicht stimmte. Sosehr er sich ihre Nähe wünschte,
     so wenig konnte er jetzt mit ihr zusammen sein. Natürlich hätte er sie gern in den Arm genommen, sie gerochen, ihren Körper
     gespürt. Aber bitte in einem anderen Universum, in einer anderen Welt, in der die Ereignisse der gestrigen Nacht nie geschehen
     wären. Von irgendeiner Besprechung hatte er ihr gestern etwas vorgelogen. Stattdessen hatte er sich mit einem Verbrecher getroffen
     und einen toten Menschen verscharrt. Die harmlose Notlüge hatte plötzlich eine Bedeutung bekommen, die er ihr nie zugedacht
     hatte. Wie sollte er Charly jetzt unter die Augen treten?
    »Du bei mir?« Sie lachte. »Das ist im Moment keine so gute Idee. Ich stehe in einer Telefonzelle. Das wäre ein bisschen eng.
     Und gleich muss ich zurück in die Burg. Aber vielleicht lässt Böhm mich heute früh genug raus, und wir können uns noch sehen,
     bevor es bei euch losgeht. Wann fangt ihr an?«
    »Heute Nachmittag. Wir müssen noch einiges vorbereiten.«
    »Ich denke, dass ich gegen zwei rauskomme. Noch einen Kaffee in der Letzten Instanz ?«
    Eigentlich keine schlechte Idee. Die Letzte Instanz in der Klosterstraße lag in der Nähe des Präsidiums und wurde trotz ihres Namens kaum von Polizeibeamten frequentiert. Doch
     Rath wimmelte sie ab. Er hoffte, nicht so kalt zu klingen, wie er sich gerade fühlte.
    »Ich fürchte, das geht nicht«, sagte er, »ich habe noch eine Menge zu erledigen.« Spuren verwischen, zum Beispiel, betonverschmierte, blutige Sachen verbrennen. Und einen neuen Anzug kaufen, am besten auch
     gleich ein neues Paar Schuhe. »Und ein bisschen Schlaf brauche ich auch noch.«
    »Schlafen? Geschlafen wird erst am Monatsende!«
    Er merkte, dass sein Lachen gezwungen klang. Sie hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt.
    »Was ist los mit dir? Stimmt etwas nicht?«
    »Was soll sein?«
    »Ich komme mir gerade ziemlich bescheuert vor. Hätte ich nicht anrufen sollen?«
    »Aber nein!« Er wusste, dass er nicht so klang, wie er sollte. »Ich bin nur noch etwas müde, das ist alles.«
    »Na, die nächsten Tage hast du ja Gelegenheit genug, dich auszuschlafen. Ich werde dich jedenfalls nicht stören, wenn du nicht
     willst. Meine Nummer hast du ja. Dienstlich und privat.«
    Seine rechte Hand mit dem Telefonhörer fiel herunter wie der Sandsack, mit dem ein Galgen vor der Hinrichtung getestet wird.
     Gedankenverloren hielt er den tutenden Hörer in der Hand. Draußen vor seinem Fenster schien die Sonne und vertrieb die Spuren
     des nächtlichen Gewitterregens. Er fühlte sich miserabel. Das Geräusch ihres Telefonhörers, der hart auf die Gabel knallte,
     hatte ihm einen Stich versetzt. Zugleich war er erleichtert. Er hätte es keine Sekunde länger ausgehalten, mit ihr zu sprechen.
    Viel zu viele wirre Gedanken rasten durch seinen Kopf. Er musste Ordnung in dieses Chaos

Weitere Kostenlose Bücher