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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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zernagte wie der Zahn der Zeit. Grau und weiß bis zum Horizont, weißmähnige Pferde, stampfend und galoppierend, wie schrecklich laut sie wieherten!
    Er riß sich los und öffnete seinen Aktenkoffer. „Ich habe noch ein paar Bücher für Sie“, sagte er. „Psychologie. Sie sagten, Sie seien daran interessiert.“
    „Das bin ich, danke.“ Ihre Stimme war völlig tonlos.
    „Jetzt natürlich hoffnungslos überholt“, fuhr er fort. „Aber sie könnten Ihnen einen Einblick in die Grundprinzipien geben. Sie müssen selbst herausfinden, wo Ihr Problem liegt.“
    „Ich glaube, ich weiß es“, sagte sie. „Ich kann jetzt klarer denken. Ich kann erkennen, wie kalt das Universum ist und wie klein wir sind …“ Sie blickte ihn mit furchterfüllten Augen an. „Ich wollte, ich könnte nicht so klar denken!“
    „Wenn Sie Ihr Denken unter Kontrolle haben, werden Sie über Ihre Fähigkeiten froh sein“, erwiderte er sanft. „Ich wünschte, es wäre alles so wie früher“, meinte sie ausdruckslos.
    „Es war eine unmenschliche, erbarmungslose Welt. Es ist gut, daß wir sie los sind.“ Sie nickte. Ihr Flüstern war kaum hörbar: „O Soldat, du liegst tot auf dem Reif, in deinem Haar ist Frost und Düsternis in deinen Augen.“ Bevor er fragend die Brauen heben konnte, fuhr sie laut fort: „Aber damals liebten und hofften wir. Es gab die kleinen Cafés, erinnern Sie sich? Und Menschen, die in schummrigem Licht lachten, es gab Musik und Tanz, Bier und Käsesandwiches um Mitternacht, Segelboote, süße Kuchen, Probleme mit der Einkommensteuer, unsere Spaße und – uns beide; wo ist Pete jetzt?“
    „Er wird bald zurück sein“, sagte Kearnes hastig. Es hatte keinen Sinn, sie daran zu erinnern, daß das Sternenschiff bereits zwei Wochen überfällig war. „Es geht ihm gut. Sie sind es, über die wir uns Gedanken machen müssen.“
    „Ja.“ Sie kniff ernst die Brauen zusammen. „Sie kommen immer noch; die Schatten, meine ich. Worte aus dem Nichts. Manchmal haben sie fast einen Sinn.“
    „Können Sie sie wiederholen?“ fragte er.
    „Ich weiß nicht. Dieses Haus ist auf Long Island, Sehnsuchtsinsel, Insel des Verlangens {2} , wo ist Pete?“
    Er entspannte sich ein wenig. Das war eine offensichtlichere Assoziation als die, mit der sie ihn das letzte Mal bekannt gemacht hatte. Wie hatte sie noch gelautet? Aber wenn das Äußerste leergefroren und Zeit so dunkel ist, daß Lichtlosigkeit ein Gewicht ist, was liegt dann darunter … Vielleicht heilte sie sich selbst in der Stille ihrer Einsamkeit.
    Aber das war nicht sicher. Die Dinge hatten sich zu sehr verändert. Der Geist eines Schizophrenen wanderte in Länder, in die er nicht folgen konnte, für die neuen Denkmuster und -modelle gab es einfach noch keine Blaupausen. Aber er glaubte, daß sich in Sheilas Verhalten eine Gesundung abzeichnete.
    „Ich sollte nicht mit ihnen spielen, ich weiß“, sagte sie unvermittelt. „Es ist gefährlich. Wenn man sie bei der Hand nimmt, lassen sie sich für eine Weile führen, aber sie lassen die Hand auch nicht mehr los.“
    „Ich freue mich, daß Sie das erkannt haben“, sagte er. „Was Sie wollen, ist ja, Ihren Verstand, Ihr Denken zu trainieren – stellen Sie sich ihn dazu als Werkzeug oder Muskel vor. Machen Sie die Übungen in logischen Folgen und allgemeiner Semantik.“
    „Das habe ich.“ Sie kicherte. „Die triumphale Entdeckung des Offensichtlichen.“
    „Aha“, lachte er, „immerhin sind Sie wieder soweit auf den Füßen, um ironische Bemerkungen zu machen.“
    „Oh, ja.“ Sie zog einen Fussel aus der Polsterung. „Aber wo ist Pete?“
    Er umging die Frage, indem er einige routinemäßige Wort-Assoziationstests mit ihr durchführte. Ihr diagnostischer Wert war fast gleich Null – jedesmal, wenn er es mit ihnen probierte, schienen die Worte verschiedene Inhalte bekommen zu haben –, aber er konnte die Ergebnisse in seine Datensammlung aufnehmen. Möglicherweise würde er genug Material zusammenbekommen, um ein zugrunde liegendes Muster zu finden. Die neue n-dimensionale konforme Erfassungsmethode sah vielversprechend aus, vielleicht würde sie ein folgerichtiges, in sich geschlossenes Bild liefern.
    „Ich muß gehen“, sagte er schließlich. Er tätschelte ihren Arm. „Es wird schon werden. Und vergessen Sie nicht: Wenn Sie je schnell Hilfe oder auch nur Gesellschaft brauchen, ein Anruf genügt.“
    Sie stand nicht auf, sondern blieb sitzen und sah ihm nach, bis er den Raum verlassen hatte.

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