Der Nebel weicht
machen und auf Pete zu warten. Aber heute …
Sie nahm den Krimi zur Hand, den sie hatte lesen wollen. Einen Augenblick lang ruhte der grellbunte Umschlag zwischen unsicheren Fingern, und fast hätte sie sich gesetzt. Dann schüttelte sie den Kopf, stellte das Buch zurück, ging zu dem überladenen Bücherregal hinüber, nahm Petes zerlesenes Exemplar von Lord Jim heraus und ließ sich in den Sessel nieder. Es war bereits später Nachmittag, bevor sie merkte, daß sie das Mittagessen völlig vergessen hatte.
Corinth traf Felix Mandelbaum, als er im Lift nach unten fuhr. Sie gehörten zu jenen seltenen Kombinationen von Nachbarn in New Yorker Mietskasernen, die zu engen Freunden geworden waren. Sheila mit ihrem kleinstädtischen Hintergrund hatte darauf bestanden, zumindest alle Nachbarn auf der gleichen Etage kennenzulernen, und Corinth war, was die Mandelbaums betraf, froh darüber. Sarah war ein molliges, ruhiges, in sich zurückgezogenes Hausmütterchen, freundlich, aber farblos; ihr Mann war da ganz anders.
Felix Mandelbaum war vor fünfzig Jahren im Lärm und Dreck des Ausbeutungsbetriebs der Lower East Side auf die Welt gekommen, und das Leben hatte ihm seitdem nur Tritte versetzt, aber er trat mit großer Begeisterung und mit voller Kraft zurück. Er war schon alles gewesen, vom umherziehenden Obstpflücker über Maschinist bis zum OSS-Agenten in Übersee während des Krieges, wobei ihm sein Talent im Umgang mit Sprachen und Menschen bestimmt von Nutzen gewesen war. Seine Karriere als Gewerkschaftsorganisator verlief parallel, von den alten JWW zu der vergleichsweisen Respektabilität seines gegenwärtigen Jobs: Offizieller Exekutivsekretär des Ortsverbandes, was hieß, daß er als Feuerwehr für besondere Problemfälle herumreiste und eine gewichtige Stimme im Gewerkschaftsapparat hatte. Er war nicht mehr so radikal wie in seiner Jugend, behauptete sogar, einer der letzten echten Konservativen zu sein. Felix hatte sich sein beträchtliches Wissen selbst angeeignet. Er war äußerst belesen und hatte bestimmt mehr vom Leben als alle anderen Mitglieder seines Freundeskreises, abgesehen von Nat Lewis vielleicht. Eigentlich komisch, wenn man es so bedachte.
„Hallo“, sagte der Physiker. „Du hast dich verspätet.“
„Nicht direkt.“ Mandelbaums Stimme hatte einen barschen New Yorker Tonfall. Er war ein kleiner, drahtiger, grauhaariger Mann mit einem knorrigen, hakennasigen Gesicht und glühenden, dunklen Augen. „Ich wachte mit einer Idee auf. Einem Reorganisationsplan. Erstaunlich, daß bisher niemand daran gedacht hat. Er würde den Papierkrieg um die Hälfte reduzieren. Und ich habe bereits einen Entwurf skizziert.“
Corinth schüttelte mitleidig den Kopf. „Inzwischen, Felix, solltest du gelernt haben, daß die Amerikaner viel zu sehr in ihren Papierwust vernarrt sind, als daß sie sich von einem einzigen Blatt trennen könnten“, sagte er.
„Du kennst die Europäer nicht“, grollte Mandelbaum.
„Weißt du“, meinte Corinth, „es ist komisch, daß du ausgerechnet heute auf diese Idee gekommen bist – erinnere mich, daß ich mich später bei dir nach den Details erkundige, es klingt interessant -; ich wachte nämlich mit der Lösung eines Problems auf, das mich in den vergangenen Monaten höllisch gequält hat.“
„Hm?“ Mandelbaum stürzte sich auf diesen Fakt, man konnte fast sehen, wie er ihn in seinen Händen drehte, beschnüffelte und beiseite legte. Eigenartig. Es war eine Aufgabe.
Der Fahrstuhl hielt, und sie trennten sich. Corinth nahm, wie gewöhnlich, die U-Bahn. Er befand sich jetzt inmitten von Autos; in dieser Stadt zahlte es sich
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