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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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vor, die hier in der Dunkelheit Gänge über Gänge
gegraben hatten – wie es schien, völlig ohne Sinn und Verstand. Als habe jemand
tief unter der Erde nach einem ganz bestimmten Weg gesucht, den er sich erst
schaffen musste. »Aber wohin wollten sie wohl?«, sagte sie laut und biss in den
Apfel.
    »Hinaus«, antwortete eine
heisere Stimme und setzte ein erschrecktes »Huch!« hinzu.
    Sallie ließ den Apfel in den
Schoß fallen und hob die Lampe, um sich umzusehen. Kein Laut, keine Bewegung.
Hatte sie sich die Stimme eingebildet, weil sie so lange nichts gehört und
gesehen hatte außer Dunkelheit und dem gelegentlichen Huschen kleiner Füße?
    »Hallo?«, sagte sie
vorsichtig. »Hallo, wer ist da?«
    Ein Räuspern und das Scharren
von Füßen. Dann wieder Ruhe.
    Sallie stand auf. Jemand zog
sich hastig zurück. »Hab doch keine Angst«, rief Sallie und stellte die Lampe
ab. »Ich bin nicht gefährlich.« Fast musste sie bei dem Gedanken kichern, dass
jemand Angst vor ihr, dem Küchenmädchen, verspüren könnte.
    Die Schritte tappten langsam,
langsam näher. Dann schob sich eine in Lumpen gehüllte Gestalt aus der
Dunkelheit. Sallie sah den Blick der schwarzen Augen in dem spitzen, grauen
Gesicht begehrlich auf ihren Apfel gerichtet, den sie wieder in der Hand hielt.
    »Essen?«, fragte das zerlumpte
Wesen. Seine schmutzige Hand machte eine halbherzig bittende Geste und
verschwand dann wieder in den Schichten der dreckigen Kleidung.
    Sallie zögerte kurz, dann
reichte sie ihm den angebissenen Apfel. Es griff hastig danach und schlug seine
Zähne hinein. Während er hingebungsvoll kaute, schloss er seine Augen, als
wollte er Duft und Geschmack ganz und gar in sein Inneres einschließen.
    Binnen weniger Momente war
alles bis auf den Stiel des Apfels in seinem Mund verschwunden. Er blinzelte
sie fragend an und seine spitze Nase zuckte. »Rieche ich Käse?«, fragte er
hoffnungsvoll.
    Sallie seufzte. Sie holte das
eingeschlagene Stück Käse und das Brot aus der Schürze und schob es ihm hin. Er
seufzte auch, als er seine Finger unter das Ölpapier schob und den duftenden,
bröckeligen Käse hevorholte.
    »Ich habe schon so lange
keinen Käse mehr gegessen«, sagte er und biss ganz vorsichtig hinein.
    Sallie sah mit leisem Bedauern
zu, wie ihre Vesper zwischen den langen Zähnen verschwand. »Lebst du hier
unten?«, fragte sie.
    Er nickte kauend.
    »Und was isst du?« Sie sah
sich um, als erwarte sie, irgendwo einen Obstbaum wachsen zu sehen.
    Er schluckte geräuschvoll.
»Alles Mögliche«, murmelte er und leckte sich die letzten Brot  und Käsekrümel
von der Handfläche. »Da, die sind ganz gut«, er deutete auf ein haariges,
vielfüßiges Etwas, das neben seinen bloßen Füßen zwischen zwei Steinen verschwand.
    Sallie schüttelte sich. Er
grinste sie an und grub in der Tasche seines zerrissenen Mantels herum. »Hier,
für dich«, sagte er. »Danke für den Käse.«
    Sallie blickte auf den
glanzlosen Kiesel herab, den er ihr offerierte. Jemand hatte sich die Mühe
gemacht, ihn mit goldfarbenem Draht zu umwickeln und eine Öse daraus zu
schlingen, damit man ihn auf eine Kette auffädeln konnte.
    »Danke«, sagte sie und klaubte
den Stein aus der schmutzigen Hand, an der noch Krümel klebten. Das be merkte
ihr Besitzer auch im gleichen Moment und leckte sie ein zweites Mal andächtig
ab.
    »Wie heißt du?«, fragte Sallie
und drehte das Steinchen in den Fingern. Es fühlte sich schön an, glatt und
warm.
    »Redzep.« Der Junge – denn es
schien ein Junge zu sein, nicht viel älter als sie – streckte sich und gähnte,
dann kratzte er sich ausgiebig.
    »Sallie«, sagte sie und
schauderte ein wenig, als sie sah, wie schwarze Pünktchen in hastiger Flucht
unter den langen Fingernägeln Redzeps davonsprangen.
    »Du kennst dich hier unten
bestimmt aus«, sagte sie hastig, um ihren Ekel zu verbergen. »Wohin führen all
diese Gänge?«
    Er hielt inne und sah sie mit
schief gelegtem Kopf nachdenklich an. »Wohin schon«, sagte er wegwerfend.
    »Überall und nirgends hin.
Jedenfalls nicht in die KÜCHE«, setzte er sehnsüchtig hinzu.
    Sallie lachte. »Die Küche – da
ist nur Hitze und Lärm und viel Arbeit.«
    Er riss die Augen auf. »Du
warst da?«, hauchte er ehrfürchtig. »In der KÜCHE?«
    Sallie nickte verwundert.
»Aber ja – ich arbeite dort schließlich.«
    Er schloss die Augen und sank
auf die Knie. »Oh, großmütige und edle Dame«, murmelte er, »du gehörst zu den
gesegneten Wesen, die den gütigen

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